Gottesdienst mit Abendmahl, Jubilate von Pastor Matthias Lasi, 25.04.2021

Der heutige Sonntag steht unter dem Leitspruch

Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.

2. Korinther 5,17

 

Psalm 103

1 Von David.

Lobe den HERRN, meine Seele,

und was in mir ist, seinen heiligen Namen!

2 Lobe den HERRN, meine Seele,

und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat:

3 der dir alle deine Sünde vergibt

und heilet alle deine Gebrechen,

4 der dein Leben vom Verderben erlöst,

der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit,

5 der deinen Mund fröhlich macht

und du wieder jung wirst wie ein Adler.

6 Der HERR schafft Gerechtigkeit und Recht

allen, die Unrecht leiden.

7 Er hat seine Wege Mose wissen lassen,

die Kinder Israel sein Tun.

8 Barmherzig und gnädig ist der HERR,

geduldig und von großer Güte.

9 Er wird nicht für immer hadern

noch ewig zornig bleiben.

10 Er handelt nicht mit uns nach unsern Sünden

und vergilt uns nicht nach unsrer Missetat.

11 Denn so hoch der Himmel über der Erde ist,

lässt er seine Gnade walten über denen, die ihn fürchten.

12 So fern der Morgen ist vom Abend,

lässt er unsre Übertretungen von uns sein.

13 Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt,

so erbarmt sich der HERR über die, die ihn fürchten.

14 Denn er weiß, was für ein Gebilde wir sind;

er gedenkt daran, dass wir Staub sind.

15 Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras,

er blüht wie eine Blume auf dem Felde;

16 wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da,

und ihre Stätte kennet sie nicht mehr.

17 Die Gnade aber des HERRN währt von Ewigkeit zu Ewigkeit

über denen, die ihn fürchten,

und seine Gerechtigkeit auf Kindeskind

18 bei denen, die seinen Bund halten

und gedenken an seine Gebote,

dass sie danach tun.

 

Gebet

Barmherziger, guter Gott,

du hast diese Welt wunderbar geschaffen, lass sie nicht allein.

In diesen Tagen können wir das Erwachen der Natur nach dem Winter beobachten. Es macht uns Freude zu sehen, wie alles wieder grün wird.

Aber wir erleben auch diese andere Seite der Natur, die das Leben bedroht und uns einschränkt. Ermutige uns und schenke uns Geduld und Hoffnung, damit wir diese schwierige Zeit der Coronapandemie durchstehen.

 

Apostelgeschichte 17,22-34

22 Paulus aber stand mitten auf dem Areopag und sprach: Ihr Männer von Athen, ich sehe, dass ihr die Götter in allen Stücken sehr verehrt.

23 Denn ich bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer angesehen und fand einen Altar, auf dem stand geschrieben: Dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt.

24 Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darinnen ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind.

25 Auch lässt er sich nicht von Menschenhänden dienen wie einer, der etwas nötig hätte, da er doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt.

26 Und er hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen,

27 dass sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns.

28 Denn in ihm leben, weben und sind wir; wie auch einige Dichter bei euch gesagt haben: Wir sind seines Geschlechts.

29 Da wir nun göttlichen Geschlechts sind, sollen wir nicht meinen, die Gottheit sei gleich den goldenen, silbernen und steinernen Bildern, durch menschliche Kunst und Gedanken gemacht.

30 Zwar hat Gott über die Zeit der Unwissenheit hinweggesehen; nun aber gebietet er den Menschen, dass alle an allen Enden Buße tun.

31 Denn er hat einen Tag festgesetzt, an dem er richten will den Erdkreis mit Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und hat jedermann den Glauben angeboten, indem er ihn von den Toten auferweckt hat.

32 Als sie von der Auferstehung der Toten hörten, begannen die einen zu spotten; die andern aber sprachen: Wir wollen dich darüber ein andermal weiterhören.

33 So ging Paulus weg aus ihrer Mitte.

34 Einige Männer aber schlossen sich ihm an und wurden gläubig; unter ihnen war auch Dionysius, einer aus dem Rat, und eine Frau mit Namen Damaris und andere mit ihnen.

 

Predigt

 

Gott ist nicht fern von einem jeden unter uns.

Das ist wohl der prägnanteste Satz des Predigttextes.

 

Gott ist nicht fern von einem jeden unter uns.

 

Vielleicht erinnern Sie sich an Augenblicke, in denen ihnen etwas Ähnliches geschehen ist: Die Welt ist in solchen Augenblicken nicht mehr dieselbe wie zuvor. Es ist zwar alles gleichgeblieben wie vorher:

der Lärm der Strasse vor dem Fenster ist immer noch da,

ich trage das gleiche Hemd wie vorher,

und doch ist etwas anders geworden, jedenfalls in diesem Augenblick.

 

Etwas in mir drin hat sich verändert. Die Welt ist nicht mehr dieselbe wie vorher. Ich betrachte sie mit anderen Augen. Es ist mir etwas aufgegangen. Es ist vielleicht etwas unglaublich Schönes, vielleicht ist es aber auch ein heftiger Schmerz, der mich getroffen und mir für etwas die Augen geöffnet hat, das mir vorher verborgen war.

 

“Einem unbekannten Gott”: Paulus berichtet nach der Erzählung der Apostelgeschichte von dem, was er entdeckte, als er Athen durchstreifte. Man hat bisher keinen Altar mit dieser Aufschrift gefunden. Aber bringt diese Aufschrift nicht sehr treffend eine Erfahrung zum Ausdruck, die viele Menschen nachvollziehen können?

 

Man ist berührt von etwas unglaublich Schönem oder auch unglaublich Traurigem. “Unbekannt” mutet das an, was da geschehen ist. Man kann es nicht in Schon-Vertrautes einordnen. Man ist überrascht, und all die Wörter und Kategorien und Bilder, die man zur Verfügung hat, genügen nicht. Sie werden dem nicht gerecht, was jetzt geschehen ist.

 

Wir versuchen es dann vielleicht doch irgendwie einzuordnen; Paulus tut dies nach der Erzählung auch. Er greift auf die einem Juden vertrauten Schöpfungsgeschichten zurück und prägt dann diese so knappen und eindrücklichen Sätze “Gott ist nicht fern von einem jeden unter uns. In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir”.

 

Es wird nicht davon ausgegangen, dass eine unüberbrückbare Kluft Menschen und Gott trennt. Gott, so bekennt hier Paulus, ist den Menschen nahe. Wir können das göttliche Geheimnis suchen, Gott sogar ertasten und finden. Aber selbstverständlich ist es nicht.

 

Manchmal ist nichts davon zu spüren. Dann klingt es wie ein Hohn. In ihm leben wir, weben und sind wir – manchmal klingt das fremd. Man fühlt sich weit, weit weg von Gott angesichts von Grausamkeit und Zerstörung in der Welt.

 

Im vergangenen Jahr erlebten wir eine Situation, die kannte bisher niemand von uns. Niemand wusste zu Beginn der Pandemie zunächst, wie mit der neuartigen Bedrohung umzugehen sei. Man konnte beobachten, wie Menschen nun sehr unterschiedlich, ja gegensätzlich, reagierten. Die einen meinten: Mich trifft es nicht, ich muss mich nicht schützen und die anderen wagten keinen Schritt mehr vor ihre Wohnungstür, weil sie Angst um ihre Gesundheit und um ihr Leben hatten.

 

Zum Glück bleiben die biblischen Geschichten beeindruckend realistisch. Die Bibel berichtet gleich am Anfang vom Menschen, der begabt ist, mit dem Auftrag, das Zerstörerische in der Welt zu bändigen, Leben zu bewahren und zu hegen. Und fast gleichzeitig wird von Gewalttätigkeit und Mord erzählt, von Kain, der seinen Bruder erschlägt.

 

Die biblischen Geschichten sind illusionslos, sie beschönigen nicht das Zerstörerische und die Finsternis.

Das biblische Reden von Religion, vom Göttlichen und von der Natur ist schonungslos. Die Natur ist zwar Gottes gute Schöpfung, aber keine unschuldige Idylle. Positives Denken allein lässt nicht alles wieder gut werden. Die Bibel redet über Gott, vermeidet jedoch, die Menschen über die Wirklichkeit zu täuschen.

 

Gott ist nicht fern von einem jeden unter uns. Man kann Gott finden. Jedoch selbstverständlich ist das nicht. Man kann an der falschen Stelle suchen oder kommt sich vor als wenn man die Nadel im Heuhaufen suchen müsste.

 

Dass sich Gott finden lässt, darauf bezieht sich eine Bitte im Vaterunser. Seit Jahrhunderten beten Christen im Vaterunser: „Dein Reich komme“. Anders formuliert könnte die Bitte heißen: Gott, sei bei uns, damit etwas von deiner Nähe spürbar werde.

 

“Dein Reich komme!” Manchmal wird das jetzt schon erfahrbar und ertastbar. Menschen begegnen dem Göttlichen, werden staunend, ehrfürchtig, verblüfft.

Etwas sehr Kostbares wird ihnen für kurze Augenblicke geschenkt, das sie verändert. Die Welt ist hinterher nicht mehr dieselbe wie vor einer solchen Erfahrung. Es ist mir etwas aufgegangen.

Der unbekannte Gott kommt überraschend nah.

Gott ist nicht fern von einem jeden unter uns.

Amen

 

Fürbittengebet

Unser Gott,

schon seit übereinem Jahr leben wir mit der Bedrohung durch das Virus. Seit über einem Jahr ist das Leben eingeschränkt. Seit über einem Jahr leben wir in der Sorge, werden meine Lieben und ich gesund durch die Coronakrise kommen?

Manche haben ihre Existenzgrundlage verloren andere müssen bangen und manche trauern um einen lieben Menschen.

Wir wissen nicht, wie das alles enden wird und denken oft:

Wo soll das noch hinführen? Erbarme dich.

 

Wir bitten dich für den Frieden in der Ukraine und auf der ganzen Welt. Erbarme dich und gebiete Einhalt, besonders in diesen Tagen. Wir wissen nicht was die militärischen Aktionen auf russischer Seite für die Ukraine bedeuten sollen. Wir bitten dich, erhalte uns den Frieden und erbarme dich über die Menschen, die in den umkämpften Gebieten leben müssen.

Amen

 

Segen

Gott segne euch und behüte euch.

Gott lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig.

Gott erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch Frieden.

(Amen, amen, amen)

Gottesdienst, Misericordias Domini, von Pastor Matthias Lasi, 18.04.2021

Der heutige Sonntag steht unter dem Leitspruch

Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben.

Johannes 10,11a.27-28a

 

Psalm 23

1 Ein Psalm Davids.

Der HERR ist mein Hirte,

mir wird nichts mangeln.

2 Er weidet mich auf einer grünen Aue

und führet mich zum frischen Wasser.

3 Er erquicket meine Seele.

Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.

4 Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,

fürchte ich kein Unglück;

denn du bist bei mir,

dein Stecken und Stab trösten mich.

5 Du bereitest vor mir einen Tisch

im Angesicht meiner Feinde.

Du salbest mein Haupt mit Öl

und schenkest mir voll ein.

6 Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang,

und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar.

 

Gebet

Gott, der uns behütet als unser guter Hirte, bleibe bei uns und führe uns, schenke uns immer wieder einen neuen Anfang, dass wir aufeinander zugehen können und miteinander Gemeinde sind. Behüte uns in den finsteren Tälern und lass uns immer wieder aufs Neue füreinander da sein.
Schenke uns Freiheiten, die wir brauchen, um unsere Begabungen zu entfalten.
Hilf uns, dass wir nicht stehen bleiben mit unserem Denken. Lass uns unterwegs bleiben auf dem Weg, der zu dir und deinem Evangelium führt.

Amen

 

Hesekiel 34,1+2+10-16+31

1 Und des HERRN Wort geschah zu mir:

2 Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden?

10 So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen, dass sie sie nicht mehr fressen sollen.

11 Denn so spricht Gott der HERR: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen.

12 Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war.

13 Ich will sie aus den Völkern herausführen und aus den Ländern sammeln und will sie in ihr Land bringen und will sie weiden auf den Bergen Israels, in den Tälern und wo immer sie wohnen im Lande.

14 Ich will sie auf die beste Weide führen, und auf den hohen Bergen in Israel sollen ihre Auen sein; da werden sie auf guten Auen lagern und fette Weide haben auf den Bergen Israels.

15 Ich selbst will meine Schafe weiden, und ich will sie lagern lassen, spricht Gott der HERR.

16 Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist.

31 Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der HERR.

 

Johannes 10,11-18

11 Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.

12 Der Mietling, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht – und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie -,

13 denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe.

14 Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich,

15 wie mich mein Vater kennt; und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe.

16 Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden.

17 Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, auf dass ich’s wieder empfange.

18 Niemand nimmt es von mir, sondern ich selber lasse es. Ich habe Macht, es zu lassen, und habe Macht, es wieder zu empfangen. Dies Gebot habe ich empfangen von meinem Vater.

 

Predigt

Als zweiter Sonntag nach Ostern steht der heutige Tag unter dem Thema: Misericordias Domini  – von der Barmherzigkeit Gottes, gefeiert als Sonntag vom Guten Hirten.

 

Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Dieser Satz gehört vielleicht zu den bekanntesten Sätzen der Bibel. Das Bild vom guten Hirten, der Geborgenheit, Fürsorge und Zuversicht vermittelt.

 

Jedoch die Wirklichkeit für die Mehrheit der Menschen sieht anders aus. Spätestens seit der Corona-Krise ist uns allen klar geworden wie verletzlich wir mit unserem Leben sind und wie wenig Sicherheit unsere technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten bieten, wenn es an guten Hirten fehlt.

 

Davon weiß auch auf seine Weise der für die Predigt zum heutigen Sonntag vorgegebene biblische Text. Er benennt aber auch eine ermutigende Alternative in bedrohlicher Lage.

 

Ich denke, irgendwie kommt uns das bekannt vor: Korrupte Eliten im Großen wie im Kleinen, skrupellose Führungskräfte, selbst in der Kirche. An Hirten, die nur sich selbst weiden, die nur ihr Schäfchen ins Trockene bringen wollen, ihren eigenen Kopf zu retten versuchen, mangelt es nicht. Machtpolitische Hirten in Syrien und in einem großen Land nicht weit weg, die auch auf ihre eigene Herde schießen lassen!

 

Aber es wäre zu einfach, wenn wir einfach nur auf die anderen zeigen. Wir alle tragen Verantwortung für unsere Familien, für die Kinder, für den Ehepartner und nicht zuletzt für uns selbst und unsere Welt.

 

Ja, wir müssen für uns sorgen. Wenn man den Kinderschuhen entwächst, ahnt man nach und nach, wie wenig kuschelig es in unserer Welt zugeht. Und irgendwann, erwachsen geworden, weißt du es auf einmal ganz genau. Denn du lernst die Situationen kennen, wo du dich verlierst im Gestrüpp des Lebens und niemand bei dir ist.

 

Du merkst, du musst für dich selbst sorgen, wenn du durchkommen willst. Und manchmal suchst du auch vergeblich nach jemandem, der dich kennt und liebhat. Wer denkt denn nicht zuerst an sich selbst und an das eigene Fortkommen? Was ist denn daran so schlecht?

 

Allem Anschein nach hat sich in der Menschheitsgeschichte seit mehr als 2.500 Jahren, seit dem Wort an den Propheten Hesekiel nichtviel geändert. Damals im 6. Jahrhundert vor Christus saßen die Israeliten in der babylonischen Gefangenschaft, weil ihre Eliten versagten. Die Lebensgrundlage als Nation hatten sie verloren und es gab kaum eine Hoffnung auf Rückkehr ins Heimatland.

 

Heute steht die Menschheit vor weit größeren Herausforderungen. Nicht nur eine Nation ist betroffen. Die Lage ist bedrohlich, wenn wir an den verantwortungslosen Umgang des Menschen mit der Natur als seiner Lebensgrundlage denken. Die Corona-Pandemie, die Kriegsgefahr und die Bedrohung durch Kernenergie und Umweltverschmutzung sind die großen Beispiele.

 

Verzeihen Sie mir an dieser Stelle ein banales Beispiel aus der heutigen Landwirtschaft, das die Schwierigkeit der Lage zeigt:

Vor 100 Jahren produzierte eine Kuh etwa 2200 kg Milch pro Jahr. Bis heute wurde diese Menge auf etwa 8500 kg oder mehr gesteigert. Das hat natürlich auch Folgen.

 

Vor 100 Jahren wurde eine Kuh 20 Jahre alt. Heute hält das so ein hochgezüchtetes und speziell gefüttertes Tier gerade einmal 5 Jahre durch. Auch an den Inhaltstoffen der Milch geht die Steigerung nicht spurlos vorüber. Und wir haben noch gelernt, Milch ist gesund.

 

Manche Fachleute raten heute zur Vorsicht. Schon bei solch alltäglichen Dinge ist heute nicht mehr so einfach zu entscheiden, was ist gut und was schadet. Schön wäre, wenn man einen Hirten hätte, der eindeutige Antworten geben könnte.

 

In dieser Situation nicht zu resignieren und sich nicht einfach nur dem Schicksal auszuliefern war dem Propheten wichtig. Deshalb hatte er eine kühne Alternative anzusagen:

 

Gott – nicht irgendein Gott, sondern der aus Unterdrückung und Gefangenschaften befreiende und herausführende Gott – wird selbst Hirte sein und das tun, was ein verantwortungsbewusster Hirte tut: Er wird seine Herde weiden und nicht verantwortungslos ausnutzen.

 

Was nun Hesekiel seinerzeit nicht wissen konnte, wie Gott, der Befreier, sein Hirtenamt ausüben wird.

Wir blicken heute auf die vielen Jahre seit Hesekiel zurück. Jesus hat uns gezeigt, wie Gott sein Hirtenamt ausübt.

 

Erinnert sei nur an Jesu Umgang mit Kindern und Frauen, die zu seiner Zeit Sache und Ware waren, für ihn aber Menschen.

“Ich bin der gute Hirte”, sagt Jesus, “meine Schafe werden niemals umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen”.

 

Das Evangelium erzählt, wie die Leute damals darauf reagiert haben: “Als sie das hörten, hoben sie Steine auf, um ihn zu steinigen”.
Als sie den Hüter des Lebens so reden hören, werden sie aggressiv: Was für eine heile Welt maßt der sich an zu vertreten im Namen Gottes!? Er verführt die Menschen.

 

Seltsam! Bei den Leuten damals löst das, was Jesus sagt, keine Wohligkeitsgefühle aus. Sie lassen ihn sofort spüren, wie die Welt, in der wir leben, wirklich aussieht.
Und wie unbehütet Er selbst lebt, der Hüter des Lebens. Wir wissen: Sie werden ihn töten. Nicht gleich, aber später.
Der gute Hirte, dieses vordergründig idyllische Bild, das uns so kuschelig anmutet, weil es heile Welt zu verkörpern scheint, würde unglaubwürdig, wenn es nicht die Lichtblicke gäbe.

 

Es gibt sie, die Menschen, die ihre Verantwortung ernst nehmen. Oft springen andere Menschen ein, sehen die Not und engagieren sich, wenn die eigentlichen Hirten sich nicht kümmern.

 

Die Pakete, die da links noch stehen und nicht abgeholt wurden sind solch ein Lichtblick. Hinter den Paketen stehen Menschen, die Geld gespendet haben, damit nicht nur hier in Kiew Not gelindert werden kann.

 

Ein weiteres Beispiel sehe ich im House of Mercy der St. Martin Gemeinde hier in Kiew. Dort kümmern sich Freiwillige um diejenigen, die alles verloren haben, sogar ihr zuhause.

 

Jesus sagt einmal: Was ihr einem unter diesen meinen geringsten Schwestern und Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan.

 

Auch wir in St. Katharina wollen unsere Augen nicht verschließen und unsere Verantwortung wahrnehmen, damit das Bild vom guten Hirten nicht nur ein schönes idyllisches Bild bleibt.

Amen.

 

Fürbittengebet

Wir beten für die Menschen,
die Hilfe und Führung suchen in ihrem Leben.

Wir beten für die Menschen,
die in den finsteren Tälern des Lebens sind,
die kein Licht am Ende des Tunnels sehen. Besonders denken wir an diejenigen, die durch die Corona-Maßnahmen in Not geraten sind. Schenke uns wache Augen und ein offenes Herz, damit wir erkennen wo Hilfe nötig ist.
Zu dir rufen wir: Herr, erbarme dich …

 

Wir beten für unsere Gemeinde.
Mache uns zu Menschen,
die zu Liebe, Glaube und Hoffnung wirklich einladen. Wir denken dabei an die Menschen, die keiner einlädt.
Zu dir rufen wir: Herr, erbarme dich …

 

Wir beten für die Menschen,
die in Politik, Kirche und Wirtschaft zu regieren haben.
Schenke ihnen Bewusstsein für ihre Verantwortung.

Wir beten für die Menschen,
die zu Opfern von Terror und Katastrophen werden.
Wir denken an die ernste Lage im Donbass und auf der Krim. Zu dir rufen wir: Herr, erbarme dich und schenke Frieden!

Amen

 

Segen

Gott segne euch und behüte euch.

Gott lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig.

Gott erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch Frieden.

(Amen, amen, amen)

Gottesdienste und Predigt von Pastor Klaus van der Grijp, 11.04.2021

Lesung Jesaja 40, 26 – 31

Hebt eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen. Seine Macht und starke Kraft ist so gross, dass nicht eins von ihnen fehlt. Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: Mein Weg ist dem Herrn verborgen, und mein Recht geht vor meinem Gott vorüber? Weisst du nicht? Hast du nicht gehört? Der Herr, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich. Er gibt dem Müden Kraft und Stärke dem Unvermögenden. Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen; die aber auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler.

2. Lesung Johannes 21, 1 – 13

Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See Tiberias. Er offenbarte sich aber so: Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galilea und die Söhne des Zebedeus und zwei andere seiner Jünger. Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich will fischen gehen. Sie sprachen zu ihm: So wollen wir mir dir gehen. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts. Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten’s nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische. Da sprach der Jünger, den Jesus liebhatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr war, gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich ins Wasser. Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen. Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische darauf und Brot. Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! Simon Petrus stieg hinein und zog das Netz an Land, voll grosser Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht. Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war. Da kommt Jesus und nimm das Brot und gibt’s ihnen; desgleichen auch die Fische.

 

Predigt

Johannes 21, 1 – 14

Eine unglaublich schöne Geschichte! Am frühen Morgen, am See Tiberias, gehen da Fischerleute ihrem Beruf nach, und auf einmal erkennen sie in einem Menschen am Ufer den auferstandenen Jesus! Eine rührende Ostergeschichte, die aber in Johannes 21 einen eigenartigen Platz hat.

Denn mit dem vorigen Kapitel, Johannes 20, hat der Verfasser sein Evangelium eigentlich schon abgeschlossen. Er wünscht nur noch seinen Lesern, dass sie durch den Glauben das Leben haben mögen im Namen Jesu Christi. Unerwartet folgt dann aber noch eine Fortsetzung, ein Anhängsel sozusagen, mit einer weiteren Ostergeschichte.

Wir dürfen fragen, wo diese Geschichte im zeitlichen Ablauf der Dinge denn eigentlich hingehört. Waren die Jünger Jesu, nachdem sich ihnen der Meister in Jerusalem, hinter verschlossenen Türen, offenbart und ihnen sogar schon die apostolische Vollmacht verliehen hatte (Johannes 20, 19 – 23) – waren sie daraufhin wirklich nach Galiläa zurückgekehrt um ihr Fischergewerbe fortzusetzen?

Es sieht eher danach aus, dass wir hier mit zwei verschiedenen Überlieferungen zu tun haben: nach der einen offenbarte der Auferstandene sich schon am dritten Tag in Jerusalem, nach der anderen erst später in Galiläa.

Im Matthäus- und Markusevangelium lesen wir doch, dass Jesus “nach seiner Auferstehung vor den Jungern hingehn würde nach Galiläa” (Mt 26, 32; Mk 14, 28). Bei dieser Überlieferung schliesst die Erzählung von Johannes 21 gut an.

Es ist wichtig, uns dessen bewusst zu sein: Die Begegnung am See Tiberias erfolgt nicht, nachdem die Jünger schon um Jesu Auferstehung wussten, als hätten sie das doch schon in Jerusalem erfahren; nein, i­­hre Erfahrung ist jetzt ganz neu und unerwartet.

Wenn sie ihr früheres Fischergewerbe wieder aufgenommen hatten, so zeigt sich darin, dass sie ihre Zeit mit Jesus als abgeschlossen betrachteten; dass sie davon nichts mehr erwarteten. Um so grösser ist ihr Erstaunen über das, was jetzt geschieht.

Die Erzählung ist voll von symbolischen Angaben. Erst schon einmal: Wieviel Jünger hatten sich denn am See Tiberias zusammengefunden? Nicht zwölf, wie früher einmal, auch nicht elf, wie nach dem Versagen des Judas Iskariot, sondern sieben. Sieben ist die Zahl der Gesamtheit, der all-umfassenden Gemeinde Christi, ebenso wie in dem Buch der Offenbarung Christus sich an sieben Gemeinden wendet.

Eine weitere Symbolik finden wir in der Tätigkeit des Fischens. Zunächst scheint sie sinnlos zu sein: ein ganze Nacht fangen sie überhaupt nichts. Dann aber hören sie den Ruf eines Unbekannten am Ufer: “Werft das Netz doch zur anderen Seite des Bootes aus!” Und siehe da: Irgend etwas Fundamentales har sich da verändert; eine Umwertung aller Werte. Sie können das Netz nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische!

Von zweien der sieben Jünger erfahren wir eine sofortige Reaktion: von Petrus und von dem Jünger, “den Jesus liebte”, dem Lieblingsjünger also, den wir als Johannes identifizieren dürfen. Hat Johannes die Gestalt am Ufer als seinen Meister erkannt? Es wird uns nicht ausdrücklich gesagt. Aber hatte der selbe Lielingsjünger nicht auch schon einmal geglaubt, als er nichts anderes sah als das leere Grab? (Johannes 20, 8)

Wie erkennt man einen geliebten Menschen? An der Stimme vielleicht? Ich glaube, es war wohl vor allem eine Herzenssache. Irgendwie spürte der Lieblingsjünger, dass der wundersame Fischfang auf den geliebten Meister zurückzuführen war. Daher sein fassungsloser Ruf: “ES IST DER HERR!”

Ja, aber nun hört den Petrus, wie er reagiert. Dass da zwischen ihm und der Gestalt am Ufer zweihundert Ellen Wasser sind, ist ihm einerlei. Die Szene, wie er dereinst gleich wie Jesus über die Wellen laufen wollte, hat er längst vergessen. Er hat seinen Meister erblickt! Kühn springt er ins Wasser und erreicht schwimmend das Ufer.

Ist er also der erste, der den Auferstandenen leibhaft gesehen hat? Eine solche Vermutung würde gut passen zur Aussage des Apostels Paulus, die sicher viel älter ist als das letzte Kapitel des Johannesevangeliums: dass nämlich Christus am dritten Tage auferstanden sei und dann von Kephas – das ist Simon Petrus – gesehen wurde (1. Korinther 15, 5).

Noch weiter reicht die Symbolik unserer Erzählung. Auch die anderen Jünger erreichen das Ufer, und sie schleppen das Netz mit den Fischen mit. 153 grosse Fische sind es! Nach einem alten Kommentar soll es im Ozean gerade soviele verschiedene Fischarten gegeben haben.

Sofort erinnert uns dieser Fischfang an den aus Lukas 5, wo den Jüngern versprochen wird, dass sie eines Tages “Menschenfischer” werden sollen: dass sie Menschenseelen fangen werden in das Netz der Frohen Botschaft: Menschen aus allen Ländern, aus allen Völkern, aus allen Religionen: 153 mag also wohl auf die werdende Kirche in ihrer Gesamtheit und in ihrer Diversität deuten.

Jesus sitzt am Ufer, wo ein Kohlenfeuer brennt. Es ist Brot da, die Jünger bringen ein paar von ihren Fischen dazu und Jesus spricht: “Kommt und haltet das Mahl!” Keiner von den Jüngern wagt es zu fragen: “Wer bist du?”, denn – so heisst es – “sie wussten, dass es der Herr war.” Ihr Herz hat ihnen die Antwort gegeben.

Im letzten Bibelbuch, im Buch der Offenbarung, finden wir den Schlüssel zu dieser wunderbaren Geschichte. Der auferstandene Christus spricht: “Wer meine Stimme hört und mich hineinlässt, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten, und er mit mir.” Es ist die Abendmahlsgemeinschaft, in der wir als Jünger Jesu die Verbundenheit mit dem auferstandenen Herrn zutiefst erfahren.

Brot und Fisch … Wann hatte es denn einen kleinen Jungen gegeben, dem seine Mutter als Proviant fünf Brote und zwei Fische mitgegeben hatte, die dann reichten um fünftausend hungrige Menschen zu sättigen? Das Mahl des Herrn reicht für alle, es ist eine Verheissung für alle Völker in der Welt.

Wenn wir die Geschichte vom wundersamen Fischfang noch einmal genau lesen, finden wir wohl auch im Kohlenfeuer eine tiefere Bedeutung. Feuer bedeutet Wärme, es bedeutet Glut! Die Mahlzeit mit dem Auferstandenen ist nicht bloss ein Picknick, sie ist durchdrängt von Geist und Feuer. Von Geist und Feuer durchdrängt reicht uns Christus die Mahlzeit dar.

Was sieben Jünger dort am See Tiberias erlebten, ist eine Einladung an uns alle und an jeden von uns. Wir hier in der Ukraine, wir gehören zu den 153 Fischen, die sich im Netz der Frohen Botschaft haben fangen lassen. Und das Netz ist nicht zerrissen, denn “Die Kirche steht gegründet / allein auf Jesus Christ” (EGB 264)

Gleichzeitig ist es aber eine Einladung an jeden einzelnen von uns. Der Auferstandene klopft an unsere Herzenstür; wir brauchen ihn nicht zu fragen: “Wer bist du?” Denn ohne Worte verstehen wir, dass es der Herr ist. Und wenn wir ihn hineinlassen, wird er kommen und Mahlzeit mit uns halten, und wir mit ihm.

Wenn Du Dich in diese Ostergeschichte einmal hineingelebt hast und verstehst, dass es der Herr ist, der da am andern Ufer auf Dich wartet – vielleicht wirst Du dann auch, wie Petrus, sofort ins Wasser springen, Deine alten Sicherheiten zurücklassen und – sozusagen “schwimmend” – dem Herrn entgegengehen. Christus ist erstanden! Ich wünsche Euch frohe Ostern.

Geistlichen Kampf

Psalmgebet: 91, 1 – 7 (Jesaja 59, 15b – 20)

Epheser 6, 10 – 17

Lukas 11, 14 – 23

16. Oktober 2016

21. Sonntag nach Trinitatis

Im alten Israel kannte man die Volksklage: die gemeinsame Klage über das viele Unrecht in der Welt, über das Unvermögen der Menschheit, Wege zum Frieden zu finden.

Die jüdischen Frommen wussten, dass sie auch selber schuld daran waren.

Im Buch Jesaja, im 59. Kapitel, finden wir ein Beispiel von solcher Klage.

“Wir harren auf Licht, siehe, so ist’s finster; auf Helligkeit, so wandeln wir im Dunkeln.” Kein anderer kann Recht schaffen als Gott alleine!

Ein Prophet, dessen Namen wir nicht kennen, kommt unserer Hoffnung entgegen, indem er bildend beschreibt, wie Gott gegen das Unrecht der Welt einschreitet und sein Volk erlöst. “Der Herr sieht, dass niemand auf dem Plan ist, und verwundert sich, dass niemand ins Mittel tritt. Da hilft er sich selbst mit seinem Arm, und seine Gerechtigkeit steht ihm bei.

Er zieht Gerechtigkeit an wie einen Panzer und setzt den Helm des Heils auf sein Haupt und zieht an das Gewand der Rache und kleidet sich mit Eifer wie mit einem Mantel.

Nach den Taten wird er vergelten, mit Grimm seinen Widersachern, mit Vergeltung seinen Feinden, ja, den Inseln wir er heimzahlen (…).

Aber für Zion wird er als Erlöser kommen und für die in Jakob, die sich von der Sünde abwenden – spricht der Herr.”Bis dahin das Zitat.

Gott der Herr wird als ein Krieger dargestellt, der Recht schafft auf Erden und der Erlösung bringt denen, die ihn fürchten.

Es gibt also einen geistlichen Kampf, dargestellt in der Bildsprache der damaligen Kriegs-führung: der Panzer der Gerechtigkeit, der Helm des Heils, das Gewand der Rache, der Soldatenmantel der Vergeltung.

Für die Gläubigen ist er ein schützender Gott, wie wir es heute in unserm Psalmgebet (91, 4 – 5) gehört haben:

“Zuflucht wirst du habenunter seinen Flügeln, seine Wahrheit ist Schirm und Schild; damit du nicht erschrecken musst vor dem Grauen der Nacht, vor den Pfeilen, die des Tages fliegen.”

Zu diesem geistlichen Kampf gibt uns das Lukasevangelium ein anschauliches Beispiel anhand der Heilung eines Besessenen, von dem Jesus die bösen Geister ausgetrieben hatte. Jesus spielt dabei nicht die Rolle eines gewappneten Kriegers. Nein, das liegt nicht in seiner Art.

Aber Jesus hat Autorität! Auf sein Wort müssen die Geister weichen.

Und dann sagt er: “Wenn ich durch Gottes Finger die bösen Geister austreibe, so ist das Reich Gottes zu euch gekommen.”

Der Teufel wird wie ein starker, gewappneter Gegner dargestellt, aber …“wenn ein Stärkerer über ihn kommt und überwindet ihn, so nimmt er ihm seine Rüstung, auf die er sich verliess, und verteilt die Beute.”

Jesus ist der Stärkere! Im Kampf mit dem Bösen ist Jesus der Sieger.

Ja, “durch Gottes Finger”…! Aus der letzten Kantate des Weihnachtsoratoriums kennen wir die Arie für Sopran-Solo, die diese Autorität in unvergleichlich schönen Worten zum Ausdruck bringt:

Nur ein Wink von seinen Händen

stürzt ohnmächtger Menschen Macht.

Hier wird alle Kraft verlacht!

Spricht der Höchste nur ein Wort,

seiner Feinde Stolz zu enden,

o, so müssen sich sofort

sterbliche Gedanken wenden.

 

Auch der Apostel Paulus spricht in seinen Briefen oft vom geistlichen Kampf, in dem wir als Gläubige verwickelt werden, und im letzten Kapitel seines Briefes an die Epheser benutzt er dazu das Bild eines gerüsteten Kriegers.

Der Krieger ist in diesem Fall nicht Gott, wie bei Jesaja, sondern der Gläubige, der aber gleich am Anfang des Abschnitts gemahnt wird: “Seid stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke!”

Denn, so sagt er – wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit den Mächten, die diese Welt beherrschen, “mit den Herren der Welt, die in dieser Finsternis herrschen.”

“In dieser Finsternis” – Paulus meint da wohl das selbe, was wir im 91. Psalm gelesen haben über das Grauen der Nacht.

Es ist die geistige Finsternis, in der das Böse herumschleicht und die Harmlosen erbeutet. Die Waffenrüstung Gottes macht uns fähig, diesen Mächten Widerstand zu leisten.

Die Metaphern, die der Apostel dabei gebraucht, sind vielsagend.

”So steht nun fest – sagt er –, umgürtet an den Lenden mit Wahrheit.” Werdet fertig mit dem Lügengeist, der Übles beschönigen will.

“Zieht euch den Panzer der Gerechtigkeit an.” Also die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt; die Gerechtigkeit aufgrund von Christi Verdienst.

“Und an den Beinen gestiefelt, bereit, einzutreten für das Evangelium des Friedens.”

Wir dürfen mit unsrer Rüstung nicht einfach sitzen bleiben und abwarten, sondern müssen unsre Stiefeln anziehen, uns auf den Weg begeben, eintreten für die Sache unsres Herrn.

“Vor allen Dingen aber – und hier kulminiert die Bildsprache des Apostels – ergreift den Schild des Glaubens, mit dem ihr auslöschen könnt alle feurigen Pfeile des Bösen.”

Es ist, wie das Psalmwort es uns gesagt hat: “Du brauchst nicht zu erschrecken vor den Pfeilen, die des Tages fliegen.” Das Schild des Glaubens wird euch dagegen beschützen. “Und nehmt den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes.” Wir erinnern uns der Geschichte von Jesu Versuchung in der Wüste, wie er jede Verlockung des Bösen erwiderte mit einem “aber es steht geschrieben.”

Wer sich das Wort Gottes angeeignet hat, kann es zum Angriff benützen wie ein scharfes, zweischneidiges Schwert (Offenbarung 1, 16. 2, 12).

“Widerstand werden wir leisten – sagt uns der Apostel – und alles überwinden und das Feld behalten.

Jesus ist Sieger. Wir wissen es. “Es streit’ für uns der recht Mann, den Gott hat selbst erkoren.”

Und der Satz aus dem Lutherlied endet mit der triumphierenden Aussage: “Das Feld muss er behalten.”

Als Gemeinde Christi sind wir eine Gemeinde von Kämpfern, gerüstet für den Kampf um das Gute.

Eine vernünftige Strategie, eine Organisation der verfügbaren Kräfte ist dabei sicher zu empfehlen.

Schon die geistlichen Ritterorden des Mittelalters haben das verstanden. Die Jesuiten im Zeitalter der Gegenreformation waren nach militärischen Grundsätzen organisiert.

Im 19. Jahrhundert stiftete der Engländer William Booth seine Heilsarmee, deren Mitglieder noch heutzutage in hoffnungslosen Winkeln der Gesellschaft mutig kämpfen, um Menschen ohne Hoffnung wieder auf den rechten Weg zu bringen.

“Leben heisst kämpfen.” In Brasilien habe ich diese Worte kennengelernt als die Losung, womit die Ärmsten unter den Armen ihre Lage zu meistern suchten.

Ein jeder von uns kennt seinen Kampf, sei es als Einzelner, sei es in der Familie oder zusammen mit Kampfgenossen.

Uns allen hält die Schrift heute das Wort des Apostels vor: “Seid stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke!” Amen.

Klaus van der Grijp

“Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung!”

3. Mose 19, 1 – 4. 11 – 14

1.Thessalonicher 4, 1 – 8

Johannes 3, 1 – 8

9. Oktober 2016

20. Sonntag nachTrinitatis

“Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung!” So steht es in der Epistellesung für den heutigenSonntag.Was meint der Apostel Paulus mitdiesem Wort?Heilig … Können wir heilig sein? Oder können wir uns bemühen, heilig zu werden?In der katholischen Kirche sowie bei den Orthodoxen hat sich über diese Frage eine ganzbestimmteTraditionentwickelt.Gläubige, deren Leben in der Nachwelt als makellos und als exemplarisch gilt, können als Heilige registriert werden; sie werden dann “kanonisiert”, in die Liste der Heiligen eingetragen.Im Protestantismus halten wir uns an den Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, in der es heisst: “die heilige christliche Kirche, die Gemeinschaft derHeiligen.”Und wir verbinden das sofort mit dem biblischen Grundbegriff, dass Heiligkeit nur Gott dem Herrn zukommt: “Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heerscharen!”Heilig ist Gott der Vater, heilig ist Christus, der Herr, und heilig ist der Geist, “der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht und mit dem Vater und dem Sohn angebetetundverherrlichtwird.”Im abgeleiteten Sinn ist auch die Kirche heilig, insofern sie das Eigentum und das Herrschaftsgebiet des allein-heiligen Gottesist.Wirdürfenuns der ursprünglichen Bedeutung des Wortes “Kirche” erinnern; es stammt vom Griechischen Kyríakè : die, die dem Kyrios, demHerrngehört.Und in diesem Sinn ist die Kirche auch eine “Gemein-schaft der Heiligen”, ohne dass wir feststellen dürfen, wer von uns schon heilig ist, schon zu den Heiligen gehört, und wer noch nicht.

In der Epistel des heutigen Sonntags wird denn auch nicht von Heiligkeit, sondernvonHeiligunggesprochen.Heiligung ist eine Bewegung, eine Richtung, in die sich unser Leben entwickelnkann.ImBibelbuch Leviticus, auch das 3. Buch Moses genannt, gibt es dazu eine bemerkenswerte Reihe von Geboten und Verboten, die viele Jahrhunderte nach Mose in einer Schule vonPriesternzusammengestelltwurde.“Rede mit der ganzen Gemeinde der Israeliten – so heisst es da – undsprich zu ihnen: Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der Herr, euer Gott.” Wir verstehen also: Es handelt sich hier nicht um individuelle Personen, die sich bemühen sollen, heilig zu werden, sondern um die ganze Gemeinde der Israeliten, die als Gottes Volk angesprochenwird.“Ich bin heilig – der Herr, euerGott.”Daraus geht hervor, dass sie Mutter und Vater ehren sollen, den Sabbat einhalten sollen, nicht stehlen, nicht lügen, nicht falschschwörendürfen.Denn “Ich bin der Herr,” heisst es jedesmal.Um der Heiligkeit Gottes willen sollen sie sich so mancher Dinge enthalten, die in ihrer Umwelt Gang undGäbesind.Es istähnlich wie bei den zehn Geboten, die wir im Katechismus gelernt haben: Das “du sollst nicht” kommt häufiger vor als das “du sollst.”In der Welt gibt es viele Verhaltensweisen, die mit der Heiligkeit Gottes im Widerspruch stehen, und darum: “Enthaltet euch dieser Dinge!”

Wennwiraufunsere Epistellesung aus dem ersten Brief an die Thessalonicher zurück-kommen, sehen wir, dass Paulus hier beim Stichwort “Heiligung” vor allem die Beziehungen zwischen Mann und Frau in Gedanken hat; die Reinheit alsoimsexuellenSinn.Denn, so lesen wir: “Gott hat uns nicht berufen zur Unreinheit, sondernzurHeiligung.”Nun ist die Frage, wo zwischen Mann und Frau die Reinheit aufhört und zur Unreinheit wird, ein dankbares Thema für Diskussionen über die christlicheMoral.Was darfst du und was darfst du nicht? Ich glaube, jede Generation hat sich da eine eigene Liste von Ge- und Verboten aufgestellt, und in den Gesprächen darüber kann es manchmal recht heisszugehn.Ich möchte aber das Gespräch über die Heiligung lieber zurückführen auf die Einsicht, dass es sich, mehr als um unsere Moral, um die Beziehung des Menschen zu Gott handelt.

Wirhabenausdem Evangelium das Gespräch zwischen JesusundNikodemusgelesen.

Nikodemus war, wie der Text es sagt, “ein Mensch unter den Pharisäern”:Er gehörteeiner Bewegung frommer Juden an, die sich um die strikte Observanz des Gesetzesbemühten.Was darf ich tun, was muss ich tun, was soll ich vor allem vermeiden umGottzugefallen?Es war die Frömmigkeit der vielen Regeln, der zahllosen Vorschriften, der Ge- undVerbote.Jesus antwortete ihm darauf unumwunden: “Nikodemus, es sei denn, dass jemand von neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen!”Nein, du brauchst nicht in den Mutterschoss zurückzukehren, du kannst aber in diesem Leben einneuer Mensch werden.“Geboren werden aus Wasser und Geist,” das ist das Geheimnis der Gottseligkeit.Was du tustund wie du es tust, darüber lässt sich reden; aber worauf es wirklich ankommt, ist: wer du bist.

Wiedergeburtisteinschönes Wort – es wird oft gebraucht und auch manchmal missbraucht.

Im biblischen Sinn bedeutet es, dass du Jesus Christus als deinen Herrn und Heiland kennen-gelernt hast und dadurch ein neuer Mensch geworden bist.Alle guten Taten, die dein Leben dann hervorbringt, haben nicht die Absicht, heilig und noch heiliger zu werden und so dich selbst als religiöserMensch zuvervollkommnen.Deine Taten sind dann einfach Früchte der Dankbarkeit, so wie ja ein guter Baum nur guteFrüchtezeitigenwird.Leben in täglicher Gemeinschaft mit Jesus Christus bringt wie von selbst eine Scheidung zustande zwischen dem, was in der Welt soüblich ist, und deiner Orientierung auf das Reich Gotteshin.Die Liste der moralischenVerbote,”du sollst nicht, du sollst nicht …” wird dir auf die Dauerganzselbstverständlich.Du lebst in der souveränen Freiheit eines Christenmenschen; alles was du tust oder unterlässt leitet sich her von dem einen neuen Gebot: dem Gebot der Liebe.

Heiligungunseres Lebens heisst im Grunde nichts anderes als näherzuJesus kommen.Auch Nikodemus kam zu Jesus: das erste mal bei Nacht, aber später erfahren wir (Johannes 19, 39), dass er bei Jesu Grablegung anwesend war und dazu eine Menge kostbarerKräutermitge-bracht hatte.Ich glaube sicher, dass er auch zu den ersten Gehörte, die dasWunder der Auferstehung erfuhren. Jesusistzu dir gekommen: erst einmal durch seine Menschwerdung und durch alles, was uns das Evangeliumüberihnerzählt. Aberauchpersönlich ist er dir näher gekommen, durch vieles, was du schon erlebt hast und dadurch, dass du jetzt mit vielen anderen die Gemeinschaft der Heiligen erfahrendarfst.Heiligung des Lebens – wir wissen es – ist eine Bewegung, die uns mehr und mehrdemAllein-Heiligen entgegenführt.So lass dich mitnehmen in diese Bewegung, beantworte die Liebe JesudurchdeineGegenliebe.Sei dir der Tatsache bewusst, dass du ganz und gar ihm gehörst, sein Eigentum bist.Was du bist – darauf kommt es ja an: ein neuer Mensch, geboren aus Wasser und Geist. Amen.

Klaus van der Grijp

Die Erstlingsfrüchte

Deuteronomium 26, 1 – 3. 10 – 11

Matthäus 13, 24 – 30

2. Korinther 9. 6 – 15

2. Oktober 2016

19. SonntagnachTrinitatis Erntedankfest

Was unsim Deuteronomium über die Darbringung der Erstlingsfrüchteerzähltwird, passtsonderlich gut zuunsrenGefühlenbeimErntedankfest.WirblickenzurückaufunsreVergangen-heit. Einen langen, mühsamen Weg sindwirgegangen, aber den Segen des Herrnhabenwirerfahren.Undnunbringenwir in Dankbarkeit die SymbolevonGottesSegen in seine heilige Gegenwart.ObstundGemüsesind es, aber es gäbe viel mehr, was wirdahinlegenkönnten.Vieles, was unsreHändegeleistetundunsreHerzenerdachthaben, viele kleine Erfolgeim Leben, wovonwir wissen: Der Herr hat sieunsgeschenkt!Dankbarkeit – In der biblischenTraditionhandelte es sichumErstlingsfrüchte: sobald die Ernteanfing, sollte der ersteErtragdemHerrngeweiht werden.So wie es heute noch jungeMenschengibt, die sagen: “WennicheinmaleinebezahlteArbeitbekomme, kaufeichvomerstenGehalteinschönes Geschenk fürmeineEltern!”

Dankbarkeit – Bei den Judenfeiert man es als schavuót, als das Wochenfest, fünfzigTagenach Pesach, alsoauch noch imFrühsommer.Die Amerikanerfeiernim November ihrenThanksgivings Day, den Tag der Dankbarkeitfür allen Segen, den sieimLaufe des Jahresempfangenhaben.Es ist gut, aufVergangeneszurückzublickenundunsreSegnungenaufzuzählen.Aber in der Bibel hat der Begriff der Ernteauch noch einenganz anderen Sinn.WennwirvomErtragmenschlicherArbeit reden, wirdunsklar, dasseinErtragsich nicht immer soeinfachaufweisenlässt.Das wissen wiraus eigener Erfahrung: Wirhabenuns viel Mühegegeben, wirgebenuns noch immer viel Mühe, aber wo ist der erwarteteErfolg?In einemschönen Psalm (126, 6) wird die Mühemitdem Wort “Tränen” angedeutet.“Die mitTränensäen, werden mitFreudeernten; siegehenhinundweinen, undstreuenihren Samen, und kommen mitFreudenundbringenihreGarben.”Aha! Da handelt es sich nicht umeineErnte, die schonwar, sondernumeineErnte, die noch aussteht, die noch zuerwartenist!

Das GleichnisvomUnkrautunterdemWeizen, das wirheutegelesenhaben, sprichtauchdavon.MenschlicheArbeitistgeleistet worden, sinnvolleArbeit, so wollen wirhoffen.Aber manche Arbeit war auchsinnwidrig, ja manche ArbeitwurdemitschlechterAbsichtgeleistet.Was der eine Mensch aufzubauenversuchte, wurdevomandernmutwilligabgebrochen.Vielleichtsindwirsogarselberbisweilensodummgewesen, unsereguteArbeitzuverderbenund die Ziele, denenwirnachgingen, zuverdunkeln.Darum wirdgesprochenvoneinem Acker, aufdemsowohlWeizen als auchUnkrautwächst.Könntenwir nicht – ja solltenwir nicht – das BösesofortvomGutenunterscheidenund es energischausjäten, es zunichtemachen?“Nein,” sagt der weiseAckermann, “lasst beide miteinanderwachsen bis zurErnte; undum die Erntezeitwillichzu den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkrautundbindet es in Bündel, damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt mir in meineScheune.”Da gibt es alsoeineErntezeit, auf die wirgernevorausgreifenmöchten.WirmöchtenjetztschonGutesvonBösemtrennenundunsunsrergutenTaten erfreuen.Wirmöchtenjetztschon das Bösemit Namen nennenundmitdemZeigefingeranweisen, wer Schuld daran hat.Aber es wirdunsgesagt: Habt Geduld! Die Erntezeitist noch nicht gekommen, jemandAndererwirdübereureTaten richten – das ist nicht eureSache.

Die grosse Erntezeit … wannwirdsie kommen?Schon die biblischenProphetenhabendavongesprochen,oftum den Gottlosen das bevorstehendeUrteilanzukündigen, den grimmigen Tag des Herrn.Jesus hat auch in anderemSinndavongesprochen: “Siehe, ich sage euch, hebt eureAugenaufundsehtauf die Felder, dennsiesindreifzurErnte” (Johannes 4, 35). Und: “Die Ernteistgross, der Arbeiterabersindwenige; darumbittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiteraussende in seineErnte!” (Lukas 10, 2)Die Felder, die reifsind – da beziehtsichJesusauf die vielen Menschenkinder, die auf die frohe Botschaft vomKönigreichGotteswarten.Nicht umsonstfällt das jüdischeErntefest, fünfzigTagenachOstern, mitdemchristlichenPfingstfestzusammen.Der Geist des auferstandenen Christus kam über die Apostel, undschonwurden die erstendreitausendSeelenfür den Heiland gewonnen. WelcheineErnte!UndumseineArbeiterzu sein – dazusindauchwirberufen, einjedervonuns, der aus eigener ErfahrungGottesLiebe, GottesGnade, Gottes Trost erfahren hat!Alles, was Gottdichim Leben hat entdeckenunderfahren lassen – das alles bist du berufen, weiterzugeben.EinArbeiter in GottesErnte bist du, wenn du dies alles in Wort undTatdeinemNächstenweitergibst.

So kommen wirdannauchzurDeutung, die der Apostel Paulus für die Erntegibt.Er sammelt bei den Gemeinden in MazedonienfinanzielleUnterstützungfür die notleidendeGemeinde in Jerusalem ein, undbenutztdabeiebenfalls das BildvonSaatundErnte.Dennsozitiert Paulus ein Wort ausdemBuch des Sprüche: “Wer da kärglichsät, der wirdauchkärglichernten, undwer da sätimSegen, der wirdaucherntenimSegen.”“Gebtgrosszügig – soschreibt er – undmitfreudigemHerzen, denn den fröhlichenGeber hat Gottlieb.”Was wirfürunsrenotleidendenGeschwistertun, wirdGottunsvergelten.Man könntemeinen: Soseialso bei Paulus die Kollekte der WeisheitletzterSchluss, wie es in christlichenKreisenauchsozu sein scheint.Auf EnglischgibtesdafüreinwitzigesWortspiel: Pray and pay – “Bete und bezahle.”Wieviel du betest, weissnur der LiebeGott; wieviel du bezahlst, könnenwirzählenundregistrieren.

LiebeSchwesternundBrüder, darübersoll es bei unskeineMissverständnissegeben.UnserKollektengeldist, ebenso wie der Schmuck bei unsermErntedankfest, nureinSymbolvonetwas viel Grösserem: von der Hingabeunseres Lebens für das Gottesreich.Von einerjungeAmeri-kanerin, die ihr Leben dem Dienst des Herrnwidmenwollte, wirderzählt, dasssieimGottesdienstaneinemSonntagmorgeneinmalnebstein paar Dollar einZettelchenauf die Opferschalelegtemit den Worten: Andmyself, ifdeemedworthy– “Undmichselbst, fallswürdigbefunden.”AuchdieserZettel war nureinSymbol, abereinsehrvielsagendes; sie hat dann bis anihrLebensendefür den auswärtigenMissionsdienstgearbeitet.Hier, zumErntedankfest, habenwir in schönemSchmuck die Früchte des Feldesaufgestellt.Aber bedenken wir doch, dassauchdieseDarstellungnureinSymboleines noch viel Grösserenist: Unser Herz, unsern Verstand, unsern Willen dürfenwiraufGottesAltar legen.Hast du das schongetan? Hast du dein Leben bereitswirklichdemgöttlichenMeisterübergeben?Wenn du das tust, dannwird er dir sicher die nächstenSchrittezeigen, die du gehenkannst.

Klaus van der Grijp

Das Heil für alle, die glauben

­­­Jesaja 55, 1 – 5

Römer 10, 9 – 13

18. September 2016

17. SonntagnachTrinitatis Matthäus 15, 21 – 28

“Kommtzumir,” sohabenwir das Prophetenwortgehört. “Neigt eureOhrenundkommt her zumir! Höret, sowerdetihrleben!” Es isteinRufzum Heil, zumGlück, zum Leben. Ähnlich wie das wohlbekannte Wort Christi: “Kommt alle zumir, die ihrmühseligund beladen seid, undichwerdeeuchRuhe schenken.” Gott ruft den Menschenund der Mensch antwortet. Wie steht das bei uns, die wir hier die Bibelzuverstehensuchen? Wann hat Gottdennangefangen, dichzurufen? Undwannhast du zumersten mal verstanden, dass es Gott war, der dichrief? Es gibt in der Bibel die Geschichtevom kleinen Samuel, der von seiner Mutter ins Heiligtum gebracht wurde, umzueinemDienerGotteserzogenzu werden. Einmal, mitten in der Nacht, hörte er seinen Namen rufen: “Samuel!” Er meinte, es wäre sein Meistergewesen, der Priester, der ihngerufenhatte. Er ging zuihmundfragte, was der alte Mann wünschte. “Nein, Samuel, du irrstdich – war die Antwort –, ichhabedich nicht gerufen.” Samuel legt sich wieder hin, aber das Ereigniswiederholtsich. “Samuel, Samuel!” Erst als Samuel diesenRufzumdritten Mal hörte, verstand es, dass es Gottselber war, der ihnrief. Und er verneigtesichundsprach: “Sprich, Herr, dein Knecht hört!” Wennwir in unsereigenes Leben zurückblicken, kannunsetwasÄhnlichespassiert sein. einefeierlicheStunde, die wir als Kindererfahrenhaben, eineinschneidendesErlebnis, an das wiruns noch lange erinnerthaben, einweises Wort, voneinemliebenMenschengesprochen – es könnensolcheBegebenheiten sein, wodurchzumersten Mal an die TürunsresHerzensgeklopftwurde. “Samuel, Samuel!” Undvielleichtgehörst du zudenjenigen, die danneinesTages verstanden haben, dass es Gott war, der dichrief: “Komm her zumir, höreaufmein Wort, sowirst du leben!” Du standestaufund du gingst. Auf den RufGottesfolgtedeineAntwort. DieseAntwortnennt die Bibel den Glauben. Glaubeist die Antwortauf den RufGottes. Bei dem kleinen Samuel war dies der Anfang, der sein Leben weiterhinbestimmte. Auch bei unsgibt es einenGlauben als Anfang, vielleicht bei der Konfirmationoder noch viel früher, undeinenGlauben, der erprobt, bewährt, gestärktwird; einenGlauben, der reift, wenn der Mensch selberzurReifeheranwächst. AusdemRömerbriefhabenwirheute das Wort gelesen: “Wenn du mirdeinemMundebekennst, dassJesus der Herrist, und in deinemHerzenglaubst, dassihnGottvon den Toten auferweckt hat, sowirst du gerettet werden.” Glaubenmitdem Mund, glaubenmitdemHerzen: die Worte, die du sprichst, und die Gefühle, die du hegst, siegehörenzusammen. “Kommtzumir!” spricht der Herr, und es istfürunseinetäglicheÜbung, dieses Kommen durchzuführen. Es istso, wie Mose es nach der Überlieferung den Israelitengebotenhatte: “NehmtnundieseWortezuHerzenund in eureSeeleundbindetsiezumZeichenaufeure Hand; rede davon, wenn du in deinemHausesitztoderunter-wegs bist, wenn du dichniederlegstundwenn du aufstehst” (5. Mose 11, 18 – 19). Die Worte des Herrn? Der Apostel Paulus beruftsichauf die kürzeste Form des Glaubens-bekenntnisses in der frühchristlichenKirche: “Christus istHerr!” Darinist alles Übrigeeinge-schlossen. Dass der auferstandene Christus Herrdeines Lebens ist – wenn du das mitdemMundebekennstund es vonHerzenglaubst, dannist es gut mit dir. Der Glaubeist die BewegungunsresHerzens, mitdemwiruns die WorteGottesaneignenkönnen.“Kommtzumir,” heisst es imProphetenwort. “Kommtzumir – sagtJesus – alle, die ihrmühseligund beladen seid.” Der Ruf des Herrn gilt allen MenschenkindernohneAusnahme. Paulus sagtdazu: “Es ist hier keinUnterschiedzwischenJudenundGriechen.” Gottes Heil gilt der ganzen Völkerwelt. Und Paulus zitiertdann wieder einProphetenwort: “Wer den Namen des Herrnanruft, der wirdgerettet werden.” Der Apostel ist das lebende Beispiel davon, wie der Ruf Christi ausdemgeschlossenenKreis des jüdischenVolkesheraustritt in die Welt der Völker. Es mussverkündigt werden, alle sollen es wissen!Die GeschichteausdemEvangelium, die wirheutegelesenhaben, von der phönizischen Frau, die  Jesus als den Sohn Davids anriefund deren Tochterdaraufhingeheiltwurde, dürfenwir als einbescheidenes Vorspiel betrachten vondem, was dannfolgte. Der Glaubekommt nicht vonselber, er musserweckt werden. UnddieseErweckungkannnur kommen, indem das Wort Christi verkündigtwird. “Verkündigt” soll es werden – UnsereLutherbibelspricht da von “predigen”, richtig;aber das Wort, das Paulus gebraucht, hat noch eineweitereBedeutung. Der Verkündigerist der Herold, der mitTrommelnund Trompeten die guteNachricht in alle Welt ausposaunt. “JesusistHerr, JesusistHerr!” Alle Welt soll es hören, dennnurwer den Rufhört, wirdauchimstande sein, zuglauben. “Wie sollen sieglauben – fragt der Apostel – wenn es ihnen nicht verkündigtwurde?” Was in der Gemeindegeschieht, sollundkannsoetwas wie eineKettenreaktion sein. Das Wort Christi wirdverkündigt, es wirdgehörtund es erweckt den Glauben, aber der Glaubewillwiederumweiter-gegeben werden. Es ist wie das Echo imHochgebirge: EinlauterRuf (!) wiederholtsichweiterundweiter, man kannihn immer noch hören. Soist es mit der Verkündigungvon Christi Herrschaft. Paulus war einer der ersten, die den Ruf schallen liessen. Bald tönte das Echo überallimRömischen Reich, baldwurde es von anderen Verkündigernübernommen: JesusistHerr, JesusistHerr. Hörenwir es nicht auch hier, in Kiew, in unsererKirche? Die Folgerungistklar. Das Wort Christi ist nicht diesenweiten Weg gegangen, um bei unssanfteeinzuschlafen. Wennwir es recht gehörthaben, wird es auchuns wieder zuVerkündigernmachen. Das Wort, das wirmitdem Mund bekennen undmitdemHerzenglauben, wird hier weitergegeben. Vielleichtso, wie Mose es dem Volk hat beibringen wollen: “Rede davon, wenn du in deinemHausesitztoderunterwegs bist, wenn du dichniederlegstundwenn du aufstehst.” Rede davonundlebeaus der Freude, die das Wort dir schenkt. Christi Wort – deineAntwort. Sodürfenwirlebenunter der Herrschaft Christi. Amen.

Klaus van der Grijp

Die Sprache der grossen Liebe

Johannes 15, 1 – 8                                                                                                       29. Mai 2016

1 Joh 5 : 1 – 4

Der erste Johannesbrief steht voll von Andeutungen, deren Sinn wir uns erst einmal klarmachen sollten. Als Gläubige sind sind wir  – so sagt der Apostel – “von Gott (oder auch aus Gott) geboren.” Sehr schön, aber wie soll ich mir das vorstellen? Wie kann ich mir das veranschaulichen? Dass Gott etwa die Gläubigen gebiert, sie zur Welt bringt, wie eine Mutter ihre Kinder? Es wäre schön, wenn wir uns Gott so mütterlich vorstellen dürften, dass Ihm sogar eine Entbindung nicht fremd wäre. Aber diese Vorstellung geht mir nun doch ein bisschen zu weit. Der Gedanke an eine göttliche Geburt bringt mir vielmehr die Worte ins Gedächtnis, die der griechische Dichter Homer in seiner Odyssee öfters wiederholt. Er spricht von der “aus Nebeln geborenen, rosenfingrige Morgenröte.” Die Sonne geht auf, und durch die rosigen Nebelwolken bricht der Tag hervor. Das ist ein schönes Bild! So etwa könnte ich mir vorstellen, dass jemand aus Gott geboren wird! Und tatsächlich, wir finden das Bild auch in der Bibel, nämlich im Buch der Richter, wenn die Richterin Debora ihr Siegeslied singt (5, 31): “Die Ihn liebhaben – so singt sie – sollen sein wie wenn die Sonne aufgeht in ihrer Pracht.”

Gott liebhaben und aus Gott geboren werden – darum handelt es sich auch im Ersten Johannesbrief. Gott liebhaben, ja, das können wir – so heisst es (4, 19) –, “weil er uns zuerst geliebt hat.” Als Gläubige werden wir dessen teilhaftig, was zu Gott gehört. Und das ist an erster Stelle: seine Liebe, denn Gott ist Liebe. Unser Autor wiederholt das an mehreren Stellen, um es uns gut einzuprägen: Gott ist Liebe, Gott ist Liebe, Gott ist Liebe. Wer aus Gott geboren wird, bekommt Gottes Liebe als Geburtsgeschenk mit!

Es gibt – zumindest in der Wortwahl des Johannes – einen schroffen Kontrast zwischen Gott und der Welt. Wir wissen es: Die Welt ist zwar gute Schöpfung Gottes, aber sie ist auch das Vergängliche, das Flüchtige, das Unzuverlässige. “Die Welt vergeht mit ihrer Lust,” – wiederum zitiere ich den Ersten Johannesbrief –, “wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit.” Dieses Bleiben, im Gegensatz zu allem Vergänglichen und Flüchtigen, das ist auch ein Begriff, den der Brief uns einschärfen will. Es ist wie das bekannte Jesaja-Wort (40, 8), das wir meistens in der Adventszeit lesen: “Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.” Unser Gott ist standhaft, zuverlässig; auch wenn alles um uns herum ins Wanken gerät – er ist der Bleibende und sein Wort hält stand. “Das Wort unseres Gottes!” Es ist nicht ein allgemeiner Gottesbegriff, wie etwa der Gott der Philosophen, nein, er ist unser Gott: der Bleibende ist bei uns und geht mit uns, so sagt es das Prophetenwort. Oder wiederum mit Johannes (1. Joh 2, 14): “Ihr seid stark und das Wort Gottes bleibt in euch.”

Welch eine Zusage! Die Stärke Gottes wird unsere Stärke, denn das Wort Gottes bleibt in euch.Es bleibt – da haben wir es wieder. In schwachen Augenblicken dürfen wir uns daran erinnern. Wenn wir an uns selber zweifeln, ob wir durchhalten werden, ob wir einer schweren Aufgabe auch gewachsen sein werden, so dürfen wir es uns sagen lassen: “Ihr seid stark und das Wort Gottes bleibt in euch.”

Gott in uns … Jemand wird mir sagen, das sei Mystik. Nun gut, aber so steht es in der Bibel, und es hilft uns, wenn die äussere Welt uns bedrängt: “Der in euch ist, ist grösser als der, der in der Welt ist” (4, 4), und “alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt” (5, 4). Das ist das Geheimnis aller jener Gläubigen, deren Mut und Beharrlichkeit für uns ein Beispiel geworden sind, sei es bei unseren eigenen Vorfahren, sei es irgendwann in der Geschichte der Christenheit. Denn sie wussten: Der in uns ist, ist grösser als der, der in der Welt ist, und alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt!

Gott in uns … Aber nun gilt auch das Umgekehrte: Wir in Gott! “Wer in der Liebe bleibt,” so heisst es, ”in dem bleibt Gott und er in Gott.” Gott ist sozusagen ein Raum, ein Schutz, ein Heiligtum, in dem ich als Gläubiger verweilen darf, und zwar nicht bloss für einen Augenblick, in einer Sternstunde meines Lebens, sondern ständig, ja, bleibend: ich darf bleiben in Gott! Das erinnert mich an die Psalmen, wo Gott unsere Burg genannt wird; dass wir unter dem Schirm des Höchsten sitzen dürfen und unter dem Schatten des Allmächtigen bleiben; dass er uns mit seinen Fittichen decken wird; dass wir Zuflucht haben werden unter seinen Flügeln, denn seine Wahrheit ist Schirm und Schild (Psalm 91, 1. 4). Nicht nur Gott will in mir bleiben, sondern auch ich darf bleiben in Gott! Das wird also gesagt von denen, die aus Gott geboren sind.

Nun kann es aber nicht anders, oder Johannes bringt dabei den zur Sprache, der als erster – vor allen Zeiten – aus Gott geboren ist: Christus, den eingeborenen Gottessohn. “Gott von Gott, Licht von Licht, wahrer Gott vom wahren Gott.” Die innige Gemeinschaft zwischen Gott und dem Gläubigen wird vermittelt durch Christus, dem Scharnier, dem Gelenkpunkt zwischen Gott und uns. Johannes sagt das schon gleich zu Anfang seiner Epistel: “Unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn, Jesus Christus (1, 3).” Dementsprechend, ein paar Kapitel weiter: “Wer nun bekennt, dass Jesus Gottes Sohn ist, in dem bleibt Gott, und er in Gott.” Wir wissen es: Christus ist nicht ein anderer, neben Gott, zu dem wir eine parallele Beziehung aufzubauen hätten, sondern er zeigt uns das Wesen Gottes, in ihm wird ja die Liebe Gottes offenbar. Wie können wir uns das vorstellen? Welches Bild schwebt uns dabei vor Augen?

Gleich wie wir uns unsere Beziehung zu Gott als eine Geburt vorzustellen versuchen, vermittelt uns das Evangelium des heutigen Sonntags ein Bild aus der Botanik: den Weinstock und die Reben. Auch hier handelt es sich um gegenseitige Durchdringung: Die Rebe ist nichts ohne den Weinstock. “Bleibt in mir,” so sagt Jesus, “und ich in euch. (…) Wer in mir bleibt, und ich in ihm, der bringt viel Frucht.”

Bleiben in Jesus, Jesus mit sich und in sich herumtragen – sind das etwa verschwommene, nebulöse Begriffe? Ich glaube es nicht. Es ist die Sprache der Liebe. Wer schon einmal richtig verliebt gewesen ist, kann es bestätigen. “Bei allem was ich tue, sage oder denke, steht sie mir vor Augen” – und das Mädchen wird sagen: “Bei allem muss ich immer wieder denken an ihn, an ihn, an ihn…” Herzliche Liebe zu Jesus lässt sich damit vergleichen. Und dann handelt es sich natürlich nicht um die Gefühlsregung eines Augenblicks, nicht um eine Liebe, die morgen wieder erkaltet. Nein: “Bleibt in meiner Liebe, bleibt in mir!” Es ist ein Aufruf zur Beständigkeit. In einem schönen Passionslied heisst es:

“In meines Herzens Grunde / dein Nam’ und Kreuz allein

funkelt all Zeit und Stunde, drauf kann ich fröhlich sein!”

Das wollen wir uns sagen lassen: Fröhlich sein – auch heute, ungeachtet aller unserer Sorgen! Amen.

Klaus van der Grijp

Beweisen kann man das nicht

Lukas 5, 1 – 11

1.Korinther 1, 18 – 25

26. Juni 2016

5. Sonntag nach Trinitatis

Der Apostel Paulus war noch nicht dabei, als Petrus und seine Gefährten den wunderbaren Fischzug erlebten.Sie waren auf das Wort Jesu mit ihrem Boot in tiefes Wasser gefahren, und siehe da, sie fingen soviele Fische, dass ihre Netze zu reissen drohten. Und dann sprach Jesus diese bedeutungsvollen Worte: “Von nun an wirst du ein Menschenfischer werden!” Nicht Fische fangen, sondern Menschen fangen im Netz der frohen Botschaft! Dieses “Fangen” ist dann natürlich im übertragenen Sinn gemeint. Wenn Fische im Netz gefangen werden, können sie nicht mehr heraus; sie werden an Land gezogen und sterben dann durch Atemnot. Wenn Menschen in das Netz der frohen Botschaft gezogen werden, so werden sie gerade zu neuem Leben befreit. Jesus wollte dem Petrus sagen: Du wirst mir folgen – und du wirst viele Menschen für das Königreich Gottes gewinnen.

Wenn Petrus das nicht sofort kapiert hat, dann hat er es wohl nachher verstanden, zu Pfingsten, als der Heilige Geist ausgegossen wurde und sich an einem Tag dreitausend Seelen taufen liessen. Menschen fangen … Wer die Apostelgeschichte liest, kann sich nur wundern, wie sich in wenigen Jahrzehnten das Christentum über das Mittelmeergebiet ausbreitete: nach Syrien, nach Klein-Asien, nach Griechenland, nach Rom und vielleicht sogar schon nach Spanien. Wir sehen da den Apostel Paulus rastlos von einem Ort zum andern reisen: Juden, Griechen, römische Staatsbürger wusste er für Christus, seinen Meister, zu gewinnen. Menschen fangen – sicher, das gelang ihm!

Natürlich längst nicht überall. Wir erfahren auch von Enttäuschungen und Misserfolgen.

Es war wohl wie bei dem wundersamen Fischzug, von dem uns der Evangelist Lukas erzählt: viele Fische gerieten in das Netz, andere entwischten und schwammen davon.Aber Gott sei  Dank, wir gehören zu denen, die irgendwie gefangen wurden: zwar nicht direkt durch Petrus oder durch Paulus – aber immerhin durch die Kraft des Evangeliums. Jemand – oder vielleicht mehrere Personen – haben an das Netz gezogen … und schwups! Man hat uns gefangen.Hier sitzen wir, als Gläubige in der Katharinenkirche, mit dem Blick auf das Geheimnis, das uns zu Gläubigen gemacht hat: den gekreuzigten Christus.

Wie sagt Paulus es im 1. Korintherbrief, woraus wir ein paar Verse gelesen haben?“Für uns, die wir selig werden, ist das Wort des Kreuzes eine Gotteskraft.” Seien wir uns klar darüber: Es steckt keine Philosophie dahinter, keine wissenschaftliche Begründung. Es ist anders als beim Marxismus, deren Grundlagen man vielen von uns noch in der Schule hat beibringen wollen. Es ist auch  anders als beim modernen Humanismus, der sich nur auf des Menschen Dasein und auf seine Erfahrungen beruft – wenn auch der Humanismus in manchen Dingen dem Christentum nahe steht.

Nein – “für uns, die wir selig werden, ist das Wort des Kreuzes eine Gotteskraft.”Wie hat es uns erreicht? Wie haben wir uns in sein Netz fangen lassen? Vielleicht einfach durch die grenzenlose Liebe des Gekreuzigten: Er gab sein Leben für uns, er war getreu bis in den Tod, er trug was wir nicht tragen konnten. Vielleicht hat uns eigene Leidenserfahrung näher zum Gekreuzigten gebracht. Was wir erfuhren, hat auch er erfahren, obwohl er Gottes Sohn ist; ja, noch viel Schlimmeres muss er gelitten haben als wir: “Mein Gott, warum hast du  mich verlassen?” Vielleicht – ja, das glaube ich sicher! – steht für uns hinter dem Kreuz das Geheimnis der Auferstehung, der Sieg des Leben über den Tod hinaus. Wenn uns ein lieber Mensch gestorben ist und wir über seine sterblichen Überreste das Zeichen des Kreuzes machen, dann sagen wir damit: “Mein Liebster, meine Liebste, auch bei dir wird der Tod nicht das letzte Wort haben!”

Es kan viele Gründe, viele Anlässe geben, wodurch das Wort des Kreuzes uns lieb wird. Aus der Matthäuspassion, die unser Kirchenchor in vergangenen Jahren mehrmals aufgeführt hat, kennen wir diese Arie:

Komm, süßes Kreuz, so will ich sagen,

mein Jesu, gib es immer her.

Wird mir mein Leiden einst zu schwer,

so hilfst du mir es selber tragen.

Die Liebe zum Kreuz und zu dem Gekreuzigten – wie können wie die einem Ungläubigen erklären? Der Apostel Paulus schreibt darüber an die Gemeinde in Korinth, die Besuch bekommen hatte von gelehrten Predigern, die die Korinther zu ihrer Weisheit zu überreden suchten. Es gab in Korinth natürlich auch Juden, und diese wollten Zeichen sehen, Beweise, dass Paulus die Wahrheit sprach, wie sie schon zu Jesu Lebzeiten nach Beweisen fragten.Nein! sagt Paulus, für die tiefsten Geheimnisse des Lebens gibt es keine Argumente, keine Beweise – sie bewegen sich auf einem andern Niveau!Man sagt euch, liebe Korinther, dass das Torheit sei? Nun gut, nennen wir es einmal Torheit. Aber es hat Gott gefallen, durch diese angebliche Torheit “selig zu machen, die daran glauben.”

Die Torheit des Kreuzes! Das Wort war als Beschimpfung gemeint, und siehe da – es wird eine ehrenvolle Bezeichnung. “Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.” Neulich las ich ein Buch über einen jungen Mann, einen Franzosen, der im 2. Weltkrieg in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten war. Unglaubliche Grausamkeiten hat er gesehen und selber erlitten, und viele seiner Gefährten sind dabei ums Leben gekommen. Aber als er, wie durch ein Wunder, den Tag der Befreiung erleben durfte, wusste er eines ganz sicher: “Jetzt will ich Theologie studieren! Jetzt will ich den Leuten erzählen können, wie Jesus inmitten solcher Unmenschlichkeiten Mensch geworden ist, um uns zu neuen Menschen zu machen.” Ich habe diesen Mann gekannt. Zum letzten Mal traf ich ihn, als er schon über achzig Jahre war. Er hat das Geheimnis des Kreuzes ein Leben lang mit sich herumgetragen und es anderen weitergegeben.

Liebe Schwestern und Brüder, Gott legt dieses Geheimnis auch in unsere Mitte nieder.  Das Zeichen des Kreuzes will uns immer wieder daran erinnern.Wir haben hier unsern schönen Kruzifix an der Wand, viele von uns haben vielleicht zu Hause etwas Ähnliches zur täglichen Besinnung hingestellt; ich trage gerne als Krawattennadel das goldene Kreuzchen, das mir meine Mutter einmal geschenkt hat. Alle diese Zeichen sind wie eine Einladung, des Wortes vom Kreuz innezuwerden: der grenzenlosen Liebe unseres Heilandes, der Schwachheit Gottes, die stärker ist als alle Mächte des Schicksals. Das ist das Evangelium! Wenn du noch nicht in dieses Netz gefangen bist, so lass dich fangen, heute. Das Netz wird nicht zerreissen,  Nimm dir das Wort des Kreuzes zu Herzen. Amen.

Klaus van der Grijp

 

Richtet nicht!

Römer 14, 10 – 13

Lukas 6, 36 – 42

19. Juni 2016

4. Sonntag nach Trinitatis

“Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedeckt ist! Wohl dem Menschen, dem der Herr die Schuld nicht zurechnet, in dessen Geist kein Trug ist!” Der 32. Psalm ist ein Lied der Freude über die Güte Gottes. Ist das nicht eines der wesentlichen Dinge, wodurch sich der Gott der Bibel kennen lässt? Dass er barmherzig ist und gnädig und geduldig und von grosser Gnade und Treue? Dann ist aber in der Bibel auch die Rede vom Richterstuhl Gottes, vor den – nach des Paulus Worten im Römerbrief – wir alle einmal gestellt werden! Der Richterstuhl Gottes, das jüngste Gericht – nach welchen Normen werden wir dort beurteilt werden? Wird es dort eine Waage geben mit auf der einen Schale unsere guten Taten, auf der anderen, was wir Böses getan haben? Und stellt euch vor: Wenn die Waage zeigt, dass die bösen Taten schwerer wiegen als die guten – was dann? Wird der liebe Gott dann heimlich ein halbes Pfund von seiner Güte auf die leichtere Schale legen, so dass sie sich doch langsam hinunter neigt? Vielleicht …!

Ich glaube, es ist gut, wenn wir irgendwie in dieser Spannung leben und deswegen in unserm eigenen Verhalten die Güte, die Nachsicht zu betrachten versuchen, die wir uns von Gott erhoffen.

Jesus spricht: “Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist – und richtet nicht, so werdet ihr nicht gerichtet.” Ich denke wiederum an das Bild der Waage. Auf die eine Schale lege ich, was mir an einer mir bekannten Person sympathisch ist. Auf die andere lege ich alles, was mich an diesem Menschen irritiert, was mich stört, was mich zornig macht. Sollte ich dann die Bilanz ziehen und vielleicht sagen: “Nein, mit so jemandem will ich nichts zu tun haben”? Weiss ich denn sicher, ob nicht meine Gereiztheit und meine Ungeduld die Waage auf die böse Seite haben ausschlagen lassen?

Habe ich auch wirklich richtig verstanden, was den andern getrieben hat, als er so-und-so handelte?

Es gibt in den modernen Sprachen einen schönen Ausdruck, den ich in diesem Zusammenhang für sehr wichtig halte: “Gib dem andern den Vorteil des Zweifels!” Im Zweifelsfall, urteile lieber zu seinen Gunsten. Es ist doch besser, den andern nicht zu verurteilen, auch wenn er es vielleicht verdient hätte, als den andern zu verurteilen, wenn es sich nachher zeigt, dass er unschuldig ist. Ich denke auch an kleine Vergeltungstaten im gesellschaftlichen Umgang. Wie oft handelt man nicht im Sinne von “wie du mir, so ich dir!” Früher waren wir einmal Freunde, aber diesmal hast du mir zu meinem Geburtstag nicht gratuliert – kein Telefonanruf, keine E-Mail, nichts. So! Morgen ist dein Geburtstag, da wirst du von mir auch keinen Glückwunsch bekommen…! Das wäre so ungefähr das biblische Vergeltungsprinzip,”Auge um Auge, Zahn um Zahn.” Es ist möglich, dass der andere meine Freundlichkeit nicht gut empfangen würde – nun ja, in dem Fall sei lieber zurückhaltend. Aber wiederum – im Zweifelsfall, enthalte dich eines Urteils!

Wie steht es nun aber mit Menschen, deren Lebensstil oder Weltanschauung wir nicht teilen?

Da kann es manchmal heftige Konflikte geben. Eltern und Grosseltern meinen, in ihren Kreisen pflege man einen gutbürgerlichen Lebensstil, so wie es sich eben gehört, oder man gehöre natürlich der Kirche an, in der man geboren und getauft worden ist. Wenn man als Mann und Frau einen gemeinsamen Haushalt aufbauen will, solle man doch erst heiraten! Aber siehe da: Die jungen Leute machen einfach alles, wie es ihnen passt: sie leben nur su drauf los und meinen, wir seien altmodisch!

Ja, aber auch hier sagt Jesus: “Richtet nicht, so werdet ihr nicht gerichtet; verdammt nicht, so werdet  ihr nicht verdammt; vergebt, so wird euch vergeben.” Vielleicht haben die jungen Leute über ihre Entscheidung besser nachgedacht als ihr meint, und sicher sind sie in einer anderen Gesellschaft aufgewachsen als ihre Eltern vor dreissig und ihre Grosseltern vor sechzig Jahren!

Freilich gibt es in der Gesellschaft eine Tendenz, wonach sich jeder nur für sich selbst verantwortlich fühlt und sich um die Ansicht anderer einfach nicht kümmert. Aber seien wir ehrlich: Eine Haltung der Gleichgültigkeit für den Nächsten und einer egoistischen Konzentration auf die eigenen Interessen hat es auch zu Grossmutters Zeiten schon gegeben! Vernünftig sind die Eltern, die durch ihre Lebensweise den Nachkommen die Werte zeigen, auf die es ihnen wirklich ankommt, so dass diese Nachkommen sich eines Tages mit Freude und vielleicht mit einem gewissen Stolz erinnern werden: Meine Eltern, meine Grosseltern – das waren prima Leute!

Auch wenn der Nächste auf religiösem Gebiet ganz anders denkt als ich, ist es meine Aufgabe, diesen Nächsten zu verstehen. Wir erleben in Westeuropa heute unterschiedliche Reaktionen auf die wachsende Zahl der Muslime. Es gibt eine schroffe Anti-Islam-Bewegung: “Je weniger solcher Leute wir in unsrer Umgebung haben, um so besser wird es sein!” Unser Urteil ist dann fertig. Zum Glück gibt es auch auch andere, die sagen: “Gerade jetzt können wir zeigen, dass wir dem andern ein Nächster sein wollen; wir können versuchen zu verstehen, was ihn treibt, was er erlebt hat, bevor wir ihn kennenlernten.” Ob sich der Muslim auch für unsern christlichen Glauben interessieren wird? Ich weiss: da gibt es Barrieren. Aber sicher ist, dass der andere uns nicht verstehen will, wenn wir unsererseits uns nicht bemühen, ihn zu verstehen. Die Grundfrage: Wenn ein Muslim betet, betet er dann zum selben Gott wie wir bei unserm Vater-Unser? Wer wird darüber urteilen? Bete aufrichtig und von ganzem Herzen, wer immer du bist! Und vor dem Richterstuhl wirst du einmal die Antwort wissen.

In meiner Heimat habe ich Signale der Grosszügigkeit kennengelernt: Muslime, die eine Gruppe von Christen einladen zum Ende des Ramadan: “Lernt unsere Bräuche kennen, kostet die Spezialitäten, die wir zu diesem Fest bereitet haben!” Und dann ist der nächste Schritt: Wir laden die Muslime zu unserer Weihnachtsfeier ein, wir lassen sie unsere schönen Weihnachtslieder hören und lassen sie von unserm Weihnachtsgebäck kosten. Solche Kontakte machen klar, dass wir zwar anders denken und anders glauben, dass wir aber füreinander offenstehn und einander das Beste gönnen. Man verliert die Angst voreinander, die zur Abschottung führen könnte; man verliert das Misstrauen, das dazu führen kann, jedem bösen Klatsch über den andern zu glauben.

“Gebt – sagt Jesus – und es wird euch gegeben werden.” Dies sagt er im Zusammenhang mit unserm Urteil über den Nächsten: Sei nicht kritzelig und nicht knauserig. “Ein volles, gedrücktes, gerütteltes uns überfliessendes Mass wird man euch in den Schoss geben. Mit dem Mass, mit dem ihr messt, wird man euch wieder messen.” Amen.

Klaus van der Grijp