Psalm 22, 26
Johannes 4, 23 -30
1.Timotheus 1, 12 – 17
12. Juni 2016
3. Sonntag nach Trinitatis
“Das ist gewiss wahr und ein Wort, des Glaubens wert, dass Jesus Christus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen.” Ein schöner Spruch, der uns erinnert an die Worte, die Jesus sprach, als er in das Haus des Zöllners Zachäus einkehrte: “Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist” (Lukas 19, 10). Im Grunde beteuren solche Worte derselben Wahrheit, die uns auch das nizänische Glaubensbekenntnis vorhält: Christus ist “für uns Menschen und zu unserm Heil vom Himmel gekommen” und er wurde “für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus.” Es sind Glaubenssätze der Gemeinde, die dem Gläubigen auch heute noch eine tiefe Wahrheit vermitteln können.
Aber wenn nun der Apostel Paulus seinem treuen Helfer Timotheus solche Worte schreibt, dann bekommen sie irgendwie einen besonderen Mehrwert. Es steht dahinter nicht nur der Glaube einer namenlosen Gemeinde, sondern auch die ganz persönliche Erfahrung eines Menschen, dem die Gnade zuteil geworden ist. Es spricht hier einer, der auf sein früheres Leben zurückblickt als auf das eines Lästerers, eines Verfolgers und eines Frevlers – aber der auch sagen kann: “Mir ist Barmherzigkeit widerfahren!” Er spielt an auf seine Bekehrung vom Christenverfolger zum Christenapostel, die Erfahrung, von der auch der Brief an die Galater und die Apostelgeschichte mehrfach berichten.
Dieses persönliche Zeugnis von einem, der verloren war und durch Gottes Gnade ein neuer Mensch geworden ist – darauf kommt es hier an! Wer in der Bibel herumblättert, findet mehrere solcher Zeugnisse. Ich denke beispielsweise an den 22. Psalm, den Psalm, der anfängt mit der erschütternden Klage: “Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?” Der Beter dieses Psalmes erfuhr dann aber irgendwie die Gnade Gottes und will davon erzählen. “Ich will deinen Namen kundtun meinen Brüdern, ich will dich in der Gemeinde rühmen, (…) denn der Herr hat nicht verschmäht das Elend des Armen. (…) Dich will ich preisen in der grossen Gemeinde!” Wir wissen nicht, was diesem Psalmdichter widerfahren ist: ob es Krankheit war, oder Verfolgung, oder irgend ein anderes Elend. Worauf es hier ankommt ist diese Einzelstimme, die Stimme eines Menschen, dem Gottes Erbarmen widerfahren ist. Und dann die Folge: “Es werden gedenken und sich zum Herrn bekehren aller Welt Enden, und vor ihm anbeten alle Geschlechter der Heiden.”
Ein anderes Beispiel finden wir im Neuen Testament, in der Geschichte von Jesus mit der Samariterin beim Jakobsbrunnen. Das Leben dieser Frau war nicht in Ordnung; es wurde in der Stadt über sie gemunkelt. Sie war darüber unglücklich. Das Gespräch mit Jesus brachte sie aber zur Selbsterkenntnis und gleichzeitig zu einem noch viel tieferen Verstehen:“Da liess die Frau ihren Krug stehen und ging in die Stadt und spricht zu den Leuten: Kommt, seht einen Menschen, der mir alles sagt, was ich getan habe – ob er nicht der Christus sei!” Dann fügt der Evangelist noch etwas hinzu: “Es glaubten an ihn viele der Samariter aus dieser Stadt um der Rede der Frau willen, die bezeugte: Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe.” Das Zeugnis einer Menschenseele, die verloren war und durch die Gnade Gottes wiedergefunden wurde! Die Geschichte geht aber noch einen Schritt weiter. Jesus bleibt ein paar Tage bei den Samaritern, und zuletzt sagen sie zu der Frau: “Von nun an glauben wir nicht mehr um deiner Rede willen, denn wir haben selber gehört und erkannt: Dieser ist wahrlich der Welt Heiland!”
Es ist das selbe Schema, das wir auch in unserm Psalm haben beobachten können: Das beeindrückende Zeugnis des Einzelnen löst eine Kettenreaktion aus: “Es werden gedenken und sich zum Herrn bekehren aller Welt Enden!” Da sind wir dann wiederum bei dem Apostel Paulus und bei der Gnade, von der er sein Zeugnis ablegt. Er spricht die güldene Regel, “dass Christus in die Welt gekommen ist, um Sünder selig zu machen,” und direkt darauf folgt die Aussage: “Darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren (…) zum Vorbild denen, die an ihn glauben sollen zum ewigen Leben.”
Christus bedient sich des Zeugnisses einzelner Gläubiger, um damit anderen, vielen, vielen anderen, den Weg zum Glauben zu öffnen.
Es ist gut, wenn wir lernen, von unsern Glaubenserfahrungen zu sprechen. Ich freue mich, wenn ich sehe, wie das manchmal in unserm spontanen Gesprächskreis zugeht. Da wird nicht nur über Allgemein-heiten gesprochen, nicht nur darüber, wie freundlich wir zueinander sind in dieser evangelischen Gemeinde. Nein – durch bestimmte Aussagen und Bemerkungen lässt auf einmal jemand sehen, wie er oder sie die Beziehung zu Gott erfährt. Ich glaube, es ist sehr wertvoll, wenn wir solche Momente in der Gemeinde erleben dürfen; ein persönliches Wort aus persönlicher Erfahrung!
Eine Bekehrungsgeschichte braucht es nicht zu sein. Paulus – wir wissen es – hatte sein Damaskuserlebnis. Blitzartig wurde ihm klar: Dieser Jesus, den ich verfolge, will mein Heiland, mein Erlöser werden! Es gibt Christen, die von so einem Damaskuserlebnis aus eigener Erfahrung zu berichten wissen: “Da und dort, an jenem Tag, um soviel Uhr, da geschah es: Da wurde ich durch Gottes Gnade zu einer lebendigen Hoffnung wiedergeboren!” Es gibt sogar Christen, die meinen, ein jeder, der sich Christ nennt, solle von einer solchen Erfahrung berichten können. Das wird dann aber gleich wieder zu einem Gebot: “Du sollst …!” Warum denn eigentlich? Gott handelt mit einem jeden von uns in seiner eigenen Weise, je nach Charakter, Persönlichkeit, Lebenslauf. Es ist aber ein Segen Gottes, wenn wir die einzelnen Stimmen unserer Brüder und Schwesten hören dürfen, die erfahren haben, dass unser Gott ein lebendiger Gott ist, der im Leben jedes seiner Kinder wirkt.
Es gibt in der Bibel so ein schönes Wort: “Freimut.” Meistens handelt es sich da um das mündliche Zeugnis von dem, was Gott getan hat. In der Apostelgeschichte kommt es wiederholt vor: Es handelt sich da jedesmal darum, dass die ersten Christen offen und frei erzählen von dem, was sie von ihrem Glauben erfahren haben. Noch im letzten Vers des letzten Kapitels, wo erzählt wird, dass Paulus zwei volle Jahre in Rom in seiner eigenen Wohnung verblieb, heisst es: Er predigte das Reich Gottes “mit allem Freimut, ungehindert.”
In unsern Kreisen sind wir da manchmal ein bisschien scheu. Ist das die Erinnerung an die Sowjet-Union, wo jedes Reden von Religion unerwünscht war? Oder ist es die bürgerliche Diskretion, der man auch in Westeuropa gerne beipflichtet, und nach der Religion einfach Privatsache sei? Ich erinnere mich mit Wohlgefallen meiner Jahre in Brasilien, wo man bei einer längeren Busfahrt leicht mit einem Mitreisenden ins Gespräch kam – und es dann sein konnte, dass man gefragt wurde: “Und was ist den ihre Religion? Ach ja, und was glaubt man da denn eigentlich?” Meine Religion – davon könnte ich Ihnen so manches erzählen … Amen.
Klaus van der Grijp