Matthäus 11, 25 – 30
Kolosser 3. 12 – 17
Der Brief an die Kolosser! Der Apostel Paulus schreibt an die Gemeinde in Kolossä, einer Kleinstadt, zirka 170 km östlich von Ephesus in Klein-Asien. Über Kolossä wissen wir recht wenig, aber was Paulus da über Jesus Christus schreibt darf man in mancher Hinsicht “kolossal” nennen. Jesus Christus, so sagt er, habe nicht nur seine Bedeutung für die Gläubigen und für die Kirche, er sei nicht nur da als unser Heiland und Erlöser. Nein, er habe eine weltweite, kosmische Bedeutung. “In Ihm ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare (1,16). Denn in Ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig” 2, 9).
Nun denkt euch, was es bedeutet, wenn ihr als Gläubige diesem Christus angehört! Die Sache ist geheimnisvoll und festlich. Eigentlich seid nicht mehr ihr es, die lebt, sondern “euer Leben ist mit Christus verborgen in Gott. Wenn aber Christus, euer Leben, sich offenbaren wird, dann werdet auch ihr offenbar werden mit Ihm in Herrlichkeit” (3, 3 – 4). Das sind ganz grosse Worte. Nun handelt es sich aber darum, diese grossen Worte in unsere tägliche Wirklichkeit umzusetzen. Davon handeln die Verse, die wir vorhin gelesen haben.
Der Apostel Paulus sieht dabei zwei verschiedene Bewegungen: die eine, die von aussen auf uns zukommt; die andere, die sich in unserm Innersten vollzieht. Den beiden Bewegungen wollen wir nachgehen. Für dasjenige, was von aussen her auf uns zukommt, gebraucht Paulus das Zeitwort “anziehen”, so wie man ein Kleid oder einen Mantel anzieht. “Zieht an, als die Auserwählten Gottes, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld. (…) Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit.” Dieses Anziehen ist auch sonst bei Paulus ein wichtiger Begriff. Im Epheserbrief ermuntert er uns, die Waffenrüstung Gottes anzuziehen: unsere Lenden zu umgürten mit Wahrheit, das Panzer der Gerechtigkeit anzuziehen und uns den Helm des Heils auf den Kopf zu setzen (6, 13, 14, 17). “Die Waffen des Lichtes” sollen wir anlegen, so heisst es im Römerbrief (13, 12).
Wie ein Kleid dürfen wir dies alles anziehen, so schreibt er den Christen in Kolossä: herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld. Ihr braucht es nicht aus euch selber hervorzurufen – das könntet ihr auch gar nicht. Es wird euch geschenkt, weil ihr zu Jesus Christus gehört. Es sind seine Eigenschaften – haben wir in das nicht heute schon im Evangelium gelesen?
Der Heiland vergleicht es da mit einem sanften Joch und mit einer leichten Last. “Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig!” Diese Eigenschaften können sich auf uns übertragen durch den täglichen, liebevollen Umgang mit ihm, so wie es in der Ehe vorkommen kann, dass ein stolzer, hochmütiger Mann etwas mitbekommt von der Bescheidenheit und Sanftmut seiner Frau. Es ist das Bild Christi, das nach und nach beim Christen sichtbar werden kann. Martin Luther spricht wiederholt von der “fremden Gerechtigkeit”, von einer Gerechtigkeit, die wir uns nicht durch unsere Anstrengung verdienen, sondern die von aussen her auf uns zukommt.
Hier im Kolosserbrief sagt Paulus es nicht von der Gerechtigkeit, sondern vom herz-lichen Erbarmen, von der Freundlichkeit, der Demut, der Sanftmut, von der Geduld. Bekleidet euch damit – zieht es an! Über alles, zieht die Liebe an, die da ist das Band der Vollkom-menheit.
In den folgenden Versen des Kolosserbriefes spricht Paulus aber auch von dem, was sich in unserm Inneren regt, dort wo der Mensch am meisten sich selbst ist: im Herzen. “Der Friede Christi, zu dem ihr berufen seid in einem Leibe – im Leibe der Gemeinde – regiere in euren Herzen.” Das entspricht wohl ungefähr dem, was wir im Evangelium gelesen haben: “Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir, (…) so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.” Es regt sich etwas in unserem Innern – oder muss ich sagen: Die Unruhe hört auf, sich zu regen? Wir erfahren den Frieden des Herrn, wir finden Ruhe für unsre Seelen. In uns wird es still wie auf stillem Wasser – die Gestalt Christi spiegelt sich in uns!
“So lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen,” ermutigt uns Paulus weiter. “Unter uns wohnen …” Da haben wir wieder so ein Zeitwort, vergleichbar mit “anziehen” oder “sich bekleiden”. Gott verheisst es uns, wenn Er von sich selber spricht: “Ich will unter ihnen wohnen und will ihr Gott sein” (2. Korinthier 6, 16). Und der auferstandene Christus spricht: “Öffne nur die Tür deines Herzens, so werde ich zu dir eingehen und das Abendmahl mit dir halten und du mit mir” (Offenbarung 3, 20).
Wohnen in meinem Herzen … Wie darf ich mir das vorstellen? Ich glaube: in der Form einer grossen Liebe, einer ganz grossen und mächtigen Liebe, die mein ganzes Wesen erfüllt. “Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen!” Es ist nicht nur eine Feststellung: Ihr seid gläubig, also nun wohnt Christus bei euch. Nein, es ist auch eine Ermutigung, eine Forderung: Lasst es so sein! Lasst es reichlich bei euch wohnen.
Was kann ich tun, um das Wort Christi reichlich bei mir wohnen zu lassen? Das ist eine direkte Frage an uns. “Das Wort Christi” – es wird uns jeden Sonntag in der Kirche gepredigt. Also … sollen wir jeden Sonntag in den Gottesdienst gehn? Das wäre immerhin schon etwas. Aber ist es auch reichlich? Wohnt es auch reichlich bei uns, dort wo wir wohnen? Ich denke vielmehr an den täglichen Umgang mit dem Wort Gottes, an eine alltägliche Bibelandacht, einerlei wie man das im einzelnen einrichten will. Ich denke an das Nachsinnen über bestimmte Schriftworte, die dich beeindruckt haben und die dir irgendwie – vielleicht auch bei der Arbeit – im Gedächtnis bleiben.
Was uns an Christus bindet kommt also von aussen: wir sind mit seinem Wesen bekleidet – und gleichzeitig von innen: Wir haben seinen Frieden im Herzen und sein Wort wohnt reichlich bei uns. Wir können darüber miteinander reden: “Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit” und nicht zuletzt … wir können davon singen! Das sei uns mit allem Nachdruck an diesem Sonntag Cantate gesagt: “Mit Psalmen, Lobgesängen und geist-lichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen!” Da sind wir ja als Lutheraner besonders gesegnet. So viele wunderschöne Kirchenlieder haben wir, von Martin Luther, von Paul Gerhard, von Jochen Klepper und von vielen anderen. Und noch dazu die Psalmen, die zeitlose Liedersammlung des Volkes Israel. Da sind Lieder, die uns tief ins Herz dringen können, die wir singen im Gottesdienst, vielleicht auch im Kirchenchor, wenn wir dem angehören, aber sicher auch zu Hause, oder die wir für uns selber summen können, ganz leise, bei der Arbeit. Im christlichen Haushalt soll nicht nur die Bibel, sondern immer auch das Gesangbuch in Griffnähe sein. “Singt Gott dankbar in eurem Herzen.” Das kann heissen: Singt, weil ihr in eurem Herzen Gott dankbar seid. Es kann ebenso gut heissen: Seid Gott dankbar, also singt ihm in eurem Herzen. Wir wollen darüber nicht entscheiden. Wichtig ist es heute, dass es einen lebendigen, warmen Zusammenhang geben soll zwischen Gott, unsrem Herzen und unsren Liedern! Amen.
Klaus van der Grijp