Beweisen kann man das nicht

Lukas 5, 1 – 11

1.Korinther 1, 18 – 25

26. Juni 2016

5. Sonntag nach Trinitatis

Der Apostel Paulus war noch nicht dabei, als Petrus und seine Gefährten den wunderbaren Fischzug erlebten.Sie waren auf das Wort Jesu mit ihrem Boot in tiefes Wasser gefahren, und siehe da, sie fingen soviele Fische, dass ihre Netze zu reissen drohten. Und dann sprach Jesus diese bedeutungsvollen Worte: “Von nun an wirst du ein Menschenfischer werden!” Nicht Fische fangen, sondern Menschen fangen im Netz der frohen Botschaft! Dieses “Fangen” ist dann natürlich im übertragenen Sinn gemeint. Wenn Fische im Netz gefangen werden, können sie nicht mehr heraus; sie werden an Land gezogen und sterben dann durch Atemnot. Wenn Menschen in das Netz der frohen Botschaft gezogen werden, so werden sie gerade zu neuem Leben befreit. Jesus wollte dem Petrus sagen: Du wirst mir folgen – und du wirst viele Menschen für das Königreich Gottes gewinnen.

Wenn Petrus das nicht sofort kapiert hat, dann hat er es wohl nachher verstanden, zu Pfingsten, als der Heilige Geist ausgegossen wurde und sich an einem Tag dreitausend Seelen taufen liessen. Menschen fangen … Wer die Apostelgeschichte liest, kann sich nur wundern, wie sich in wenigen Jahrzehnten das Christentum über das Mittelmeergebiet ausbreitete: nach Syrien, nach Klein-Asien, nach Griechenland, nach Rom und vielleicht sogar schon nach Spanien. Wir sehen da den Apostel Paulus rastlos von einem Ort zum andern reisen: Juden, Griechen, römische Staatsbürger wusste er für Christus, seinen Meister, zu gewinnen. Menschen fangen – sicher, das gelang ihm!

Natürlich längst nicht überall. Wir erfahren auch von Enttäuschungen und Misserfolgen.

Es war wohl wie bei dem wundersamen Fischzug, von dem uns der Evangelist Lukas erzählt: viele Fische gerieten in das Netz, andere entwischten und schwammen davon.Aber Gott sei  Dank, wir gehören zu denen, die irgendwie gefangen wurden: zwar nicht direkt durch Petrus oder durch Paulus – aber immerhin durch die Kraft des Evangeliums. Jemand – oder vielleicht mehrere Personen – haben an das Netz gezogen … und schwups! Man hat uns gefangen.Hier sitzen wir, als Gläubige in der Katharinenkirche, mit dem Blick auf das Geheimnis, das uns zu Gläubigen gemacht hat: den gekreuzigten Christus.

Wie sagt Paulus es im 1. Korintherbrief, woraus wir ein paar Verse gelesen haben?“Für uns, die wir selig werden, ist das Wort des Kreuzes eine Gotteskraft.” Seien wir uns klar darüber: Es steckt keine Philosophie dahinter, keine wissenschaftliche Begründung. Es ist anders als beim Marxismus, deren Grundlagen man vielen von uns noch in der Schule hat beibringen wollen. Es ist auch  anders als beim modernen Humanismus, der sich nur auf des Menschen Dasein und auf seine Erfahrungen beruft – wenn auch der Humanismus in manchen Dingen dem Christentum nahe steht.

Nein – “für uns, die wir selig werden, ist das Wort des Kreuzes eine Gotteskraft.”Wie hat es uns erreicht? Wie haben wir uns in sein Netz fangen lassen? Vielleicht einfach durch die grenzenlose Liebe des Gekreuzigten: Er gab sein Leben für uns, er war getreu bis in den Tod, er trug was wir nicht tragen konnten. Vielleicht hat uns eigene Leidenserfahrung näher zum Gekreuzigten gebracht. Was wir erfuhren, hat auch er erfahren, obwohl er Gottes Sohn ist; ja, noch viel Schlimmeres muss er gelitten haben als wir: “Mein Gott, warum hast du  mich verlassen?” Vielleicht – ja, das glaube ich sicher! – steht für uns hinter dem Kreuz das Geheimnis der Auferstehung, der Sieg des Leben über den Tod hinaus. Wenn uns ein lieber Mensch gestorben ist und wir über seine sterblichen Überreste das Zeichen des Kreuzes machen, dann sagen wir damit: “Mein Liebster, meine Liebste, auch bei dir wird der Tod nicht das letzte Wort haben!”

Es kan viele Gründe, viele Anlässe geben, wodurch das Wort des Kreuzes uns lieb wird. Aus der Matthäuspassion, die unser Kirchenchor in vergangenen Jahren mehrmals aufgeführt hat, kennen wir diese Arie:

Komm, süßes Kreuz, so will ich sagen,

mein Jesu, gib es immer her.

Wird mir mein Leiden einst zu schwer,

so hilfst du mir es selber tragen.

Die Liebe zum Kreuz und zu dem Gekreuzigten – wie können wie die einem Ungläubigen erklären? Der Apostel Paulus schreibt darüber an die Gemeinde in Korinth, die Besuch bekommen hatte von gelehrten Predigern, die die Korinther zu ihrer Weisheit zu überreden suchten. Es gab in Korinth natürlich auch Juden, und diese wollten Zeichen sehen, Beweise, dass Paulus die Wahrheit sprach, wie sie schon zu Jesu Lebzeiten nach Beweisen fragten.Nein! sagt Paulus, für die tiefsten Geheimnisse des Lebens gibt es keine Argumente, keine Beweise – sie bewegen sich auf einem andern Niveau!Man sagt euch, liebe Korinther, dass das Torheit sei? Nun gut, nennen wir es einmal Torheit. Aber es hat Gott gefallen, durch diese angebliche Torheit “selig zu machen, die daran glauben.”

Die Torheit des Kreuzes! Das Wort war als Beschimpfung gemeint, und siehe da – es wird eine ehrenvolle Bezeichnung. “Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.” Neulich las ich ein Buch über einen jungen Mann, einen Franzosen, der im 2. Weltkrieg in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten war. Unglaubliche Grausamkeiten hat er gesehen und selber erlitten, und viele seiner Gefährten sind dabei ums Leben gekommen. Aber als er, wie durch ein Wunder, den Tag der Befreiung erleben durfte, wusste er eines ganz sicher: “Jetzt will ich Theologie studieren! Jetzt will ich den Leuten erzählen können, wie Jesus inmitten solcher Unmenschlichkeiten Mensch geworden ist, um uns zu neuen Menschen zu machen.” Ich habe diesen Mann gekannt. Zum letzten Mal traf ich ihn, als er schon über achzig Jahre war. Er hat das Geheimnis des Kreuzes ein Leben lang mit sich herumgetragen und es anderen weitergegeben.

Liebe Schwestern und Brüder, Gott legt dieses Geheimnis auch in unsere Mitte nieder.  Das Zeichen des Kreuzes will uns immer wieder daran erinnern.Wir haben hier unsern schönen Kruzifix an der Wand, viele von uns haben vielleicht zu Hause etwas Ähnliches zur täglichen Besinnung hingestellt; ich trage gerne als Krawattennadel das goldene Kreuzchen, das mir meine Mutter einmal geschenkt hat. Alle diese Zeichen sind wie eine Einladung, des Wortes vom Kreuz innezuwerden: der grenzenlosen Liebe unseres Heilandes, der Schwachheit Gottes, die stärker ist als alle Mächte des Schicksals. Das ist das Evangelium! Wenn du noch nicht in dieses Netz gefangen bist, so lass dich fangen, heute. Das Netz wird nicht zerreissen,  Nimm dir das Wort des Kreuzes zu Herzen. Amen.

Klaus van der Grijp