“Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung!”

3. Mose 19, 1 – 4. 11 – 14

1.Thessalonicher 4, 1 – 8

Johannes 3, 1 – 8

9. Oktober 2016

20. Sonntag nachTrinitatis

“Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung!” So steht es in der Epistellesung für den heutigenSonntag.Was meint der Apostel Paulus mitdiesem Wort?Heilig … Können wir heilig sein? Oder können wir uns bemühen, heilig zu werden?In der katholischen Kirche sowie bei den Orthodoxen hat sich über diese Frage eine ganzbestimmteTraditionentwickelt.Gläubige, deren Leben in der Nachwelt als makellos und als exemplarisch gilt, können als Heilige registriert werden; sie werden dann “kanonisiert”, in die Liste der Heiligen eingetragen.Im Protestantismus halten wir uns an den Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, in der es heisst: “die heilige christliche Kirche, die Gemeinschaft derHeiligen.”Und wir verbinden das sofort mit dem biblischen Grundbegriff, dass Heiligkeit nur Gott dem Herrn zukommt: “Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heerscharen!”Heilig ist Gott der Vater, heilig ist Christus, der Herr, und heilig ist der Geist, “der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht und mit dem Vater und dem Sohn angebetetundverherrlichtwird.”Im abgeleiteten Sinn ist auch die Kirche heilig, insofern sie das Eigentum und das Herrschaftsgebiet des allein-heiligen Gottesist.Wirdürfenuns der ursprünglichen Bedeutung des Wortes “Kirche” erinnern; es stammt vom Griechischen Kyríakè : die, die dem Kyrios, demHerrngehört.Und in diesem Sinn ist die Kirche auch eine “Gemein-schaft der Heiligen”, ohne dass wir feststellen dürfen, wer von uns schon heilig ist, schon zu den Heiligen gehört, und wer noch nicht.

In der Epistel des heutigen Sonntags wird denn auch nicht von Heiligkeit, sondernvonHeiligunggesprochen.Heiligung ist eine Bewegung, eine Richtung, in die sich unser Leben entwickelnkann.ImBibelbuch Leviticus, auch das 3. Buch Moses genannt, gibt es dazu eine bemerkenswerte Reihe von Geboten und Verboten, die viele Jahrhunderte nach Mose in einer Schule vonPriesternzusammengestelltwurde.“Rede mit der ganzen Gemeinde der Israeliten – so heisst es da – undsprich zu ihnen: Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der Herr, euer Gott.” Wir verstehen also: Es handelt sich hier nicht um individuelle Personen, die sich bemühen sollen, heilig zu werden, sondern um die ganze Gemeinde der Israeliten, die als Gottes Volk angesprochenwird.“Ich bin heilig – der Herr, euerGott.”Daraus geht hervor, dass sie Mutter und Vater ehren sollen, den Sabbat einhalten sollen, nicht stehlen, nicht lügen, nicht falschschwörendürfen.Denn “Ich bin der Herr,” heisst es jedesmal.Um der Heiligkeit Gottes willen sollen sie sich so mancher Dinge enthalten, die in ihrer Umwelt Gang undGäbesind.Es istähnlich wie bei den zehn Geboten, die wir im Katechismus gelernt haben: Das “du sollst nicht” kommt häufiger vor als das “du sollst.”In der Welt gibt es viele Verhaltensweisen, die mit der Heiligkeit Gottes im Widerspruch stehen, und darum: “Enthaltet euch dieser Dinge!”

Wennwiraufunsere Epistellesung aus dem ersten Brief an die Thessalonicher zurück-kommen, sehen wir, dass Paulus hier beim Stichwort “Heiligung” vor allem die Beziehungen zwischen Mann und Frau in Gedanken hat; die Reinheit alsoimsexuellenSinn.Denn, so lesen wir: “Gott hat uns nicht berufen zur Unreinheit, sondernzurHeiligung.”Nun ist die Frage, wo zwischen Mann und Frau die Reinheit aufhört und zur Unreinheit wird, ein dankbares Thema für Diskussionen über die christlicheMoral.Was darfst du und was darfst du nicht? Ich glaube, jede Generation hat sich da eine eigene Liste von Ge- und Verboten aufgestellt, und in den Gesprächen darüber kann es manchmal recht heisszugehn.Ich möchte aber das Gespräch über die Heiligung lieber zurückführen auf die Einsicht, dass es sich, mehr als um unsere Moral, um die Beziehung des Menschen zu Gott handelt.

Wirhabenausdem Evangelium das Gespräch zwischen JesusundNikodemusgelesen.

Nikodemus war, wie der Text es sagt, “ein Mensch unter den Pharisäern”:Er gehörteeiner Bewegung frommer Juden an, die sich um die strikte Observanz des Gesetzesbemühten.Was darf ich tun, was muss ich tun, was soll ich vor allem vermeiden umGottzugefallen?Es war die Frömmigkeit der vielen Regeln, der zahllosen Vorschriften, der Ge- undVerbote.Jesus antwortete ihm darauf unumwunden: “Nikodemus, es sei denn, dass jemand von neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen!”Nein, du brauchst nicht in den Mutterschoss zurückzukehren, du kannst aber in diesem Leben einneuer Mensch werden.“Geboren werden aus Wasser und Geist,” das ist das Geheimnis der Gottseligkeit.Was du tustund wie du es tust, darüber lässt sich reden; aber worauf es wirklich ankommt, ist: wer du bist.

Wiedergeburtisteinschönes Wort – es wird oft gebraucht und auch manchmal missbraucht.

Im biblischen Sinn bedeutet es, dass du Jesus Christus als deinen Herrn und Heiland kennen-gelernt hast und dadurch ein neuer Mensch geworden bist.Alle guten Taten, die dein Leben dann hervorbringt, haben nicht die Absicht, heilig und noch heiliger zu werden und so dich selbst als religiöserMensch zuvervollkommnen.Deine Taten sind dann einfach Früchte der Dankbarkeit, so wie ja ein guter Baum nur guteFrüchtezeitigenwird.Leben in täglicher Gemeinschaft mit Jesus Christus bringt wie von selbst eine Scheidung zustande zwischen dem, was in der Welt soüblich ist, und deiner Orientierung auf das Reich Gotteshin.Die Liste der moralischenVerbote,”du sollst nicht, du sollst nicht …” wird dir auf die Dauerganzselbstverständlich.Du lebst in der souveränen Freiheit eines Christenmenschen; alles was du tust oder unterlässt leitet sich her von dem einen neuen Gebot: dem Gebot der Liebe.

Heiligungunseres Lebens heisst im Grunde nichts anderes als näherzuJesus kommen.Auch Nikodemus kam zu Jesus: das erste mal bei Nacht, aber später erfahren wir (Johannes 19, 39), dass er bei Jesu Grablegung anwesend war und dazu eine Menge kostbarerKräutermitge-bracht hatte.Ich glaube sicher, dass er auch zu den ersten Gehörte, die dasWunder der Auferstehung erfuhren. Jesusistzu dir gekommen: erst einmal durch seine Menschwerdung und durch alles, was uns das Evangeliumüberihnerzählt. Aberauchpersönlich ist er dir näher gekommen, durch vieles, was du schon erlebt hast und dadurch, dass du jetzt mit vielen anderen die Gemeinschaft der Heiligen erfahrendarfst.Heiligung des Lebens – wir wissen es – ist eine Bewegung, die uns mehr und mehrdemAllein-Heiligen entgegenführt.So lass dich mitnehmen in diese Bewegung, beantworte die Liebe JesudurchdeineGegenliebe.Sei dir der Tatsache bewusst, dass du ganz und gar ihm gehörst, sein Eigentum bist.Was du bist – darauf kommt es ja an: ein neuer Mensch, geboren aus Wasser und Geist. Amen.

Klaus van der Grijp