Der 2. Advent 2015 in Sankt Katharina

Dieses Datum wird wohl in besonderer Erinnerung unserer Kirchengemeinde bleiben. Denn sie wurde unversehens Ziel einer außergewöhnlichen Bischofsvisitation. Allerdings löste diese nicht, wie sonst vielleicht, die Begeisterung von weiten Teilen der zum Gottesdienst strömenden Gemeinde aus. Sie begann nämlich schon morgens gegen 5 Uhr. Überraschend drang Bischof Maschewski mit anderen Mitgliedern der DELKU-Kirchenleitung in die Kirche ein. Die Wache, unser Küster, wurde eingeschlossen. Außerdem fanden sich dann reichlich vor Beginn des Gottesdienstes an der Kirche plötzlich auch noch Jugendliche ein, die der Gemeinde unbekannt waren.

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Sie wurden scheinbar von Diakon Igor Schemigon angeführt und traten mit Fahnen, Transparenten und Sprechchören gegen Gemeinde und Pastor auf. Als sie von Gemeindegliedern aus Furcht vor Störungen des Gottesdienstes daran gehindert wurden, die Kirche zu betreten, wurde es sogar handgreiflich. Das alles wirkte nicht wie eine Visitation. Wie aus einer vorgefertigten Urkunde hervorging, die auf dem Altar bereit lag, sollte an Stelle des im Oktober in Absprache mit der DELKU von der EKD für ein Jahr in die Gemeinde entsandten Pastors Hans-Ulrich Schäfer im Gottesdienst durch den Bischof ein anderer Pastor eingeführt werden. Und das – wie die Umstände nun anzeigten – mit aller Macht. Dem Kirchengemeinderat war eine Woche zuvor die Absicht der Einführung schriftlich mitgeteilt worden. Auch sollte er die wichtigen Papiere und Dinge der Gemeinde für eine Übergabe vorbereiten. Der Kirchengemeinderat sah aber gar keinen Grund, den Pastor auszuwechseln und eine Übergabe durchzuführen. Er beschloß aber auf dem Hintergrund von Berichten aus anderen Gemeinden der DELKU, die wichtigen Papiere und Dinge der Gemeinde in besonderer Weise sicherzustellen. Wie richtig das gewesen war, sah man dann ja. Was sich jedoch wirklich abspielte, war unvorstellbar. Aber die Kirchengemeinde stand zusammen und ließ sich bewunderswerterweise nicht provozieren. Pastor Schäfer reagierte darauf – nur dieses eine Mal im Gottesdienst, indem er sie zu Beginn der Predigt in Erinnerung an das gerade gesprochene Glaubensbekenntnis als ‘Liebe Gemeinde der Heiligen’ ansprach. In diesem Geist konnte dann sogar noch die geplante Gemeindeversammlung stattfinden – von staatlichen und städtischen Vertretern, die ob
der Ereignisse freundlicherweise
herbeigeeilt waren, respektvoll
zur Kenntnis genommen.

Zeugenaussagen vom 2. Advent:

Herr Robert Grining erinnert sich:

Gegen 7 Uhr morgens am 6. Dezember weckte mich das Telefon. Ich wurde gebeten, dringend in die Kirche zu kommen. Ungefähr um 8.15 war ich schon da. Ich war erstaunt, als ich die große Menge von ca. 25 bis 30 unbekannten Jugendlichen sah. Wie sich später zeigte, war es eine Mannschaft, die von uns schon bekannten Personen aus der DELKU beauftragt worden war, eine Protestaktion gegen unsere Gemeinde durchzuführen. Ihr Hauptslogan ertönte – abgesehen von einigen Pausen – 3 Stunden lang per Megaphon: „Für die ukrainische Kirche den ukrainischen Pastor!“ Die Gruppe zeigte eigentlich kein aggressives Benehmen. Links von der Kirche standen 10 bis 12 Soldaten. Ich schloß mich den anderen Gemeindeangehörigen an. Wir bildeten eine Art Gottesdienst-Wache. So konnten wir auch die groben und hartnäckigen Versuche der Menschen um Maschewskij, Burlow und Schemigon unterbinden, den Gottesdienst zu stören. Gegen 12 Uhr endete alles leidlich. Aber es bleibt ein bitterer Nachgeschmack…

Alexander Prokoptschyk, der Küster, schreibt:

An jenem traurigen Morgen des 2. Advent fühlte ich nur Enttäuschung und Bedauern. Wie konnten Menschen, die ich gut kannte und denen gegenüber ich offenherzig gewesen war und mit denen ich zusammengearbeitet hatte, sich so unsinnig und kriminell betätigen? Ich hatte für die Nacht die Kirchenwache übernommen. Plötzlich drangen sie in die Kirche ein. Sie sperrten mich in einen Raum und verboten mir das Telefonieren! Auf meine Frage: „Warum machen Sie das?“ bekam ich die – wie auswendig – gelernte Antwort: „Das gehört sich so. Die Kirchenleitung gab uns die Anweisung. Und wir sind nur gehorsam!“ Kommt einem so etwas nicht bekannt vor? Ja, immer wieder rechtfertigen sich „Täter“ so! Aber kann das heutzutage – nach unserer Revolution der Würde – wirklich noch eine Antwort sein? Und darf eine Kirche wirklich so geleitet werden?

Alexander Wisthof, Mitglied des Kirchengemeinderates und ebenfalls Augenzeuge, merkt an:

Das Leben auferlegt uns schwere Prüfungen. Eine davon ereignete sich im Leben unserer Kirchengemeinde am 6. Dezember. Gewissen, Würde und Glauben sahen wir bekämpft, als im Dunkel der Nacht der Bischof mit seinen Gefolgsleuten in die Kirche einbrach. Aber der Plan, dann überraschend den Pastor auszutauschen, scheiterte. Denn die Gemeinde hat ihr Recht wahrgenommen und diese Leute vor die Tür gesetzt. Mögen sie auch in ihrer Bosheit, aber Kraftlosigkeit, nach schwachen Stellen suchen, ihr Vorhaben zu wiederholen. Sie werden es nicht schaffen. Die Geschichte hat es nämlich bewiesen: Menschen, die – unabhängig von ihrer Nationalität – einig sind im Glauben, werden immer siegen. Die Liebe und der Glaube an eine gerechte Sache werden sich durchsetzen!

Nun ein Vierteljahr nach diesem Ereignis sind die Signale aus Odessa weiterhin widersprüchlich. Anfang Februar gab es ein Treffen, zu dem das staatliche Religionsdepartement eingeladen hatte. Dort konnte man den Eindruck gewinnen, daß der Kirchengemeinde möglicherweise mehr Selbständigkeit eingeräumt wird. Ende Februar wiederum ging ein Brief ein, der nur nach Konfrontation aussah. Daraufhin hat der Kirchengemeinderat, der sich längst anwaltlich beraten und vertreten läßt, nun beschlossen, seinerseits geeignete Schritte zu unternehmen, um die Existenz der Kirchengemeinde und ihre Selbstbestimmung vor äußeren Einflüssen zu schützen.